Verteidigung der Freiheit geht nur im Frieden
Irmtraud Gutschke
Er ist 27, im besten Alter für die Truppe. Und er ist nicht der einzige, der das keinesfalls will. Anders als andere aber hat er es laut gesagt, hat sogar ein Buch daraus gemacht. Dass es auf ein Für und Wider treffen würde, hat er gewusst. „Gegen die Kriegstüchtigkeit“ aufzutreten, die gerade jetzt seitens der deutschen Regierung so lauthals gefordert wird, verlangte Mut. Vielleicht ist es in diesem Fall auch ein Mut der Verzweiflung, denn einer Wiedereinführung der Wehrpflicht könnte der Autor nicht entgehen. Es sei denn, er würde Deutschland verlassen. Aber wohin? Wie viele junge Menschen stellen sich wohl jetzt diese Frage, während andere überlegen, ob sie in der Bundeswehr vielleicht doch ein gut bezahltes Plätzchen finden könnten. Es muss ja nicht zum Schlimmsten kommen,
Wenn 59 Prozent der Achtzehn- bis Neunundzwanzigjährigen gegen eine neue Wehrpflicht sind, wie Nymoen feststellt (er bezieht ich auf eine Umfrage der „Zeit“), ist das eigentlich nur eine knappe Mehrheit. Spricht das dafür, dass die Propaganda gewirkt hat? Der Autor ist empört: „Dieselben Politiker, die ansonsten ununterbrochen gegen Arbeitslose hetzen und Menschen in die Armut treiben – man könnte auch sagen: die Politiker, die die soziale Spaltung vorantreiben -, rufen zur Geschlossenheit auf … Auch wenn die einen im Überfluss leben und die anderen darben, sollen sich alle Bürger zuallererst als Deutsche sehen, deren gelingendes Leben am Fortbestand ihres Nationalstaats hängt.“
Das Buch ist dies also nicht nur ein Statement persönlicher Weigerung, gegebenenfalls auf ein Schlachtfeld geschickt und getötet zu werden, sondern es ist auch eine fundamentale Kritik des herrschenden Systems der sozialen Ungerechtigkeit. „Ein gutes Leben für alle ist nicht die Staatsräson der Bundesrepublik.“ Es ist ein Alarmruf, weil die Bundesrepublik, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg als „zivile Demokratie“ verstand, jetzt in aller Offenheit militärische Ansprüche erhebt und eine neue Führungsrolle beansprucht.
Was ist Krieg und wem nützt er? Was ist der Preis eines Sieges der einen Staatmacht über die andere? Denn es sind ja nicht die Völker, die gegeneinander kämpfen. Sollte einem da nicht das eigene Leben wichtiger sein? Unweigerlich denkt man an Selenskyj, der den Krieg gegen Russland bis zum letzten Ukrainer zu führen gedenkt, weil er sonst selber abtreten müsste und nicht mehr geschützt, vielleicht in seinem Leben bedroht wäre. Insofern sind Kriege „nicht sinnlos“. Vielmehr sind sie „die Art und Weise, wie konkurrierende Staaten ihre Interessengegensätze in letzter Instanz austragen, wenn alle anderen möglichen Formen erpresserischer Politik (Diplomatie, Wirtschaftssanktionen etc.) gescheitert sind“.
„Staaten sind zuallererst einmal nichts weiter als Gewaltapparate.“ Klare Worte gegen die weithin gehegte Illusion, dass Staaten Diener des Volkes seien (Selenskyjs Partei heißt ja sogar so). Nymoen argumentiert plausibel für diejenigen, die wie er über ein kritisches Bewusstsein verfügen. Darin kann er Leser bestärken, aber leider werden andere gar nicht zu seinem Buch greifen. Medial musste er damit rechnen, auf Unverständnis, gar Ablehnung zu stoßen. Doch solches schadet dem Verkauf einen Buches bekanntlich nicht.
Dass er doch froh sein solle über die Möglichkeit kritischer Meinungsäußerung in diesem freiheitlichen Staat, las ich in einer Rezension und dass solche Freiheit doch auch verteidigungswürdig sei. Wohl wahr, aber im Kriegsfall würde sich das schnell ändern. Der Slogan von der Verteidigung der Freiheit gilt nur, so lange wir im Frieden sind. Auch der freieste Staat, so heißt es im Buch, erlaube sich Liberalität nur, „solange er seine Kritiker für keine ernstzunehmende Gefahr hält“.
Er selbst, so betont der Autor, nutze seine Freiheiten gern. „Aber sterben würde ich ganz sicher nicht dafür – auch weil ich gut weiß, wie anders dieser Staat könnte, wenn er meine Haltung eines Tages nicht mehr als die eines zu vernachlässigenden Abweichlers wahrnehmen sollte.“
Ole Nymoen: Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde. Gegen die Kriegstüchtigkeit. Rowohlt 140 S., geb., 16 €.,