Allein im Wald oder in einer Höhle?
Irmtraud Gutschke
„Ein Mutmachbuch in zehn Geschichten!“, nennt es der Verlag. Für Kinder ab zehn ist es gedacht. Die dürfen aber nicht allzu dünnhäutig sein. Im hiesigen Wald einem Bären zu begegnen, ist eher unwahrscheinlich. Da ist es leicht, für den Rat dankbar zu sein, nicht wegzulaufen, sondern sich langsam zu enfernen, ohne ihm den Rücken zuzukehren. Notfalls soll man sich auf den bauch legen und sich tot stellen. Wenn dir ein Bär folgt, ist es gut, einen Rucksack oder ein Kleidungsstück fallen zu lassen, weil ihn das ablenkt. Stimmt, das habe ich schon bei einer Autorin gelesen, die in der Taiga mit Bären zu tun hatte. Aber, wie gesagt, im Thüringer Wald oder in Bayern sind sie eher selten.
Erdbeben kann es bestenfalls im Auslandsurlaub geben, da sind Kinder ja hoffentlich nicht allein. Aber dass man bei Gewitter draußen ist oder es brennt im Haus, das kann passieren. Gut zu wissen, dass man sich in ein Zimmer zurückziehen, die Türen abdichten und die Feuerwehr alarmieren soll, wenn man nicht mehr aus dem Haus kommt. Aber dann wird es tatsächlich brenzlig. Dass man beim Schwimmen aufs Meer gezogen wird, man könnte ja denken sicher zu sein, wenn ein Erwachsener dabei ist. Das Bild im Buch zeigt allerdings Vater und Sohn, die sich auf den Rücken gelegt haben und „floaten“ um Kraft zu sparen. Sie halten sich an den Händen, und das Kind lacht. Na toll. „Zwölf Stunden sollen sie auf dem Meer getrieben sein, ehe ein Fischer sie bemerkte und Hilfe holte.
Allein im Wald oder in einer Höhle? Wie gesagt, Zehnjährige können die Vorstellung unterhaltsam finden wie einen Geisterfilm oder sie bringt ihnen böse Träume. Die preisgekrönte Autorin Laura Momo Aufderhaar und die Gestalterin Verena Hochleitner haben die Geschichten „gemeinsam in Wort und Bild gegossen, mit dicken Pinselstrichen in Tusche, rauen Kreidestrichen, Experimenten in Ölfarbe und Frottagen für die Hintergrundstruktur“. So heißt es aus dem Kunstanstifter Verlag heißt, wo man, wie der Name schon sagt, mit jeder Publikation ein Stück Kunstförderung im Sinn hat. Immer wieder unkonventionell, immer wieder etwas ganz Besonderes.
Vielleicht ist es ja wirklich ein Kinderbuch im Auge. Ich werde es aber gleichzeitig in der Rubrik Ratgeber einordnen, weil das Verhalten bei Katastrophen hier schlüssig und übersichtlich dargestellt ist. Insofern ist es tatsächlich ein Mutmachbuch, auch für Erwachsene, weil Wissen in gewisser Weise Ermächtigung bedeutet.
Verena Hochleitner und Laura Momo Aufderhaar: Was tun, wenn … Kleine Hilfe bei großen Katastrophen. Kunstanstifter Verlag, 66 S., geb., 25 €.