„Tot sind wir, wenn wir uns geschlagen geben“
Irmtraud Gutschke
Es muss 1980 gewesen sein, dass ich im Großen Saal des Palastes der Republik die Uraufführung seines „Canto General“ erlebte. Tosender Beifall für den Komponisten Mikis Theodorakis, der auch dirigierte, und für die Sängerin Maria Farandouri mit ihrem herrlichen Mezzosopran. Eine dermaßen monumentale Komposition hatte ich bei einem Festival des Politischen Liedes nicht erwartet, und ich empfand es so, dass Theodorakis damit auch seine Nähe zu meinem Land DDR demonstrierte. Erst später begriff ich, wie da für ihn immer auch ein Abstand blieb. In seinem Gefühl persönlicher Eigenständigkeit wäre er nie damit zurecht gekommen, wenn Anpassung von ihm verlangt worden wäre.
„Der große Gesang“ – ein Oratorium, das nach meinem Gefühl ebenso in eine Kirche gepasst hätte. Er hatte ja auch Kirchenkompositionen geschaffen, was ich damals nicht wusste. Wobei „Canto General“, nach dem berühmten Gedichtzyklus von Pablo Neruda entstanden (schon 1953 erschien er in einer Nachdichtung von Erich Arndt bei Volk und Welt), auch an den Putsch in Chile am 11. September 1973 denken ließ, als das Militär mit General Pinochet an der Spitze den gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende stürzte, der sich das Leben nahm, als der Präsidentenpalast bombardiert wurde. Neruda starb zwölf Tage wie es hieß an Krebs. Sein Haus wurde vom Militär geplündert und zerstört.
Im Willen, sich politisch für eine bessere Welt zu engagieren, waren der Dichter und der Komponist verbunden. Der poetische Traum und die Erfahrung von Gewalt – in diesem Spannungsfeld haben sie gelebt. Haft und Folter hatte Mikis Theodorakis schon als 18-Jähriger erlitten, weil er sich dem Widerstand gegen die faschistische Besatzung angeschlossen hatte. Kaum wieder frei, wurde er als kommunistischer Regimegegner erneut verhaftet, auf die Insel Ikaria verbannt in ein Konzentrationslager deportiert und dort so schwer misshandelt, dass er beinahe nicht überlebt hätte. Zweimal, so las ich, sei er lebendig begraben worden. Wie gelang es ihm wohl, dass er nicht daran zerbrach?
Und es ging ja weiter. Als er sich ab 1967 gegen die Militärdiktatur engagierte, wurde er erneut verhaftet und kam nur auf internationalen Druck frei. „Im Gefängnis erreichten Mikis körbeweise Grüße und Blumenzeichnungen von Schulkindern aus der DDR“, erinnert sich Hartmut König, der mit der DDR-Singebewegung eng verbunden war. „Weltbekannte Künstler wie Arthur Miller, Dmitri Schostakowitsch, Leonard Bernstein, Laurence Olivier und Paul Dessau hatten ein Komitee für seine Befreiung gegründet. Im Mai 1970 ließ ihn die Junta nach Paris ausreisen.“
Bis 1974 lebte er im Exil. Wie er sich immer wieder an die Musik klammerte, hat er später bekannt. Schon in den sechziger Jahren entwickelte er sein künstlerisches Konzept, die volksmusikalischen Traditionen seines Landes ins Zeitgenössische zu heben. Sein „Sirtaki“ zur Verfilmung von Nikos Katzanzakis‘ Roman „Alexis Sorbas“ 1964, mit Anthony Quinn in der Hauptrolle, wurde so berühmt, das ihn viele für ein Volkslied hielten, ein Inbegriff von Griechenland.
Mikis Theodorakis wurde 96 Jahre alt und ist zeitlebens überaus produktiv gewesen. Er hat über 1000 Werke komponiert – Symphonien, Oratorien, Opern, Kammermusik, Liederzyklen, Ballett- und Filmmusik,. Und er schrieb Gedichte. Zu seinem 100. Geburtstag hat der Axel Dielmann Verlag nun eine Sammlung seiner Gedichte herausgebracht, übersetzt von Ina und Asteris Kutulas. Dazu Zeichnungen von Angela Hampel und Fotos von Margarita Theodorakis. Der Vorworte gibt es zwei: von Konstantin Wecker und Hans-Eckart Wenzel.
Der Titel „Paradiesische Höllen“ öffnet jenes Spannungsfeld, in dem Mikis Theodorakis lebte. Viele seiner frühen Texten sind vor dem Hintergrund extremer existenzieller Bedrohung entstanden: „Ich musste um mein Leben ringen./ Es war heimlich entwichen aus meinem Körper/ und hatte sich um mich herum verteilt./ So war ich untrennbar verbunden/ den Dingen und meinen Brüdern …“
Ein lyrisches Ich, das sich umkreist und fassen will, nicht selten in einem inneren Zwiegespräch. Leidenschaftliche Liebe und Suche nach Trost, Trauer und unbedingter Wille zu widerstehen. Wortmächtige Beschwörungen von Sehnsucht: „Die Wörter sollen fliegen./ Schwimmen. Ertrinken./ Verschwinden./ Bis sie dich finden./ Sich in Luft auflösen./ Luftblase werden/ und eh du dich versiehst/ in deiner Hand wegdämmern.“
Wir sehen einen Menschen vor uns, der gezwungen ist, eine große Stärke zu entwickeln und der die Fähigkeit hat, diese seine Kraft weiterzugeben durch seine Kunst.
„Seine Lyrik will gehört werden, und ich rate alle Leser:innen …, sich die Worte von Mikis Theodorakis auf der Zunge zergehen zu lassen und sich seine Gedichte selbst vorzutragen“, schreibt Konstantin Wecker in seinem Vorwort. „Gedichte sind Musik, und genauso sollte man sie in sich aufnehmen.“
„Hier spricht ein Poet“, jubelt Hans Eckart Wenzel. „Seine Sprache ist verzaubert von Musik und beladen mit den Erfahrungen des Scheiterns. .. Der Rhythmus trommelt an gegen das Vergessen und das Resignieren.“
„Tot sind wir, wenn wir uns geschlagen geben.“ Wollen wir uns diesen Satz zu Herzen nehmen.
Mikis Theodorakis: Paradiesische Höllen. Gedichte & Liedtexte. Herausgegeben von Asteris Kutulas und Raphael Irmer. Übertragen von Ina und Asteris Kutulas. Mit Vorworten von Konstantin Wecker und Hans-Eckardt Wenzel, Zeichnungen von Angela Hampel und Fotos von Margarita Theodorakis. Axel Dielmann-Verlag, 168 S., geb., 26 €.