Willkommen in meinem Literatursalon
Irmtraud_Gutschke

Lesen macht glücklich, weil es uns sagt, wer wir sind und wer wir sein wollen, weil wir über uns hinauswachsen, in fremder Haut erleben dürfen, was uns sonst verschlossen bliebe. Heutzutage scheinen wir ja in Informationen zu ertrinken und haben doch das Gefühl, dass uns Wichtiges fehlt. Was ich suche, sind Bücher, die in diesem Sinne nachdenklich machen, ja auch solche, von denen ein Leuchten ausgeht. Viele Jahrzehnte habe ich als Literaturredakteurin mit Hunderten, ja Tausenden von Texten zu tun gehabt, auch selber Bücher geschrieben. Die Neugier auf Neues will ich hier mit anderen teilen.

„literatursalon.online“: Stellen Sie sich vor, wir sind zusammen in einem schönen Saal, und Sie möchten von mir wissen, was sich zu lesen lohnt. Was interessiert Sie denn, frage ich zurück. Politische Sachbücher? Gute Romane und Erzählungen? Spannende Krimis? Bildbände, die man immer wieder betrachten möchte? Mit meiner Auswahl lade ich Sie zu Ihren eigenen Entdeckungen ein.

Irmtraud Gutschke

Wenn Sie mehr über mich erfahren wollen - meine Biografie, meine Bücher und Veranstaltungen - , schauen Sie auf meine Webseite www.irmtraud-gutschke.de

Gute Nacht, Gehirn

„Malen Sie sich etwa Gutes aus“

Irmtraud Gutschke

Das Titelbild zeigt einen leger-korrekt gekleideten Herrn (Anzug, weißes Hemd, aber keine Krawatte), der einem verschmitzt lächelnd entgegenblickt. Insgeheim auch mit einer gewissen Überlegenheit, die wir von Prof. Dr. Volker Busch auch erhoffen. Er soll uns ein kompetenter Ratgeber sein. Deshalb nehme wir sein Buch je zur Hand. Der Titel trifft ins Zentrum unserer Sorgen und Wünsche. Wenn man nicht zu den etwa sechs Millionen Menschen in Deutschland gehört, die unter Schlafstörungen leiden, so kennen die meisten von uns doch das Gedankenkarussell, das ganz besonders Fahrt aufnimmt, während wir uns doch eigentlich erholen wollen.

„Gute Nacht, Gehirn“ Glückwunsch an den Droemer Verlag – ist insofern ein zugkräftiger Titel. Wer sich das Buch zulegt, bekommt allerdings nicht nur das, was er oder sie erwartet hat, sondern viel, viel mehr. Tipps, die das Einschlafen erleichtern, gibt es natürlich auch. Aber, wie gesagt, es gibt mehr, nämlich nicht nur eine psychotherapeutische „Begleitung“ für die Nacht, sondern auch einen für den Tag.

Einen besseren Ratgeber als Prof. Dr. Volker Busch hätte der Verlag dafür nicht finden können, erforscht er doch als Leiter einer Neurowissenschaftlichen Arbeitsgruppe an der Universität Regensburg die psycho-physiologischen Zusammenhänge von Stress, Schmerz und Emotionen. Lange Erfahrungen hat er in der Begleitung von Menschen, die unter Depression, Erschöpfung und anderen Belastungen leiden, welche nicht nur persönliche, sondern auch gesellschaftliche Ursachen haben.

Als Therapeut muss er allerdings beim einzelnen Menschen ansetzen, indem er zunächst einmal Wissen darüber vermittelt, was in unseren Gehirnen vor sich geht. Wobei der Plural in gewisser Weise falsch ist, denn wir sind verschieden, und das ist gut so. Es ist gut, wie Prof. Busch da hin und wieder auch persönlich wird. Überhaupt hat er die Gabe, sehr offen, freundlich und immer wieder mit Humor auf seine Leserinnen und Leser zuzugehen, die eine Menge lernen werden.

Wie uns Fantasie und Intuition uns im Alltag helfen können, wozu wir hin und wieder Stille brauchen, wie wichtig es ist, sich zu akzeptieren, wie man ist. Wie uns Gewohnheiten entlasten, dass auch das kleine Glück zu schätzen ist und man bewusst den Ausgleich suchen soll zwischen verschiedenen Tätigkeiten. Im Miteinander keinesfalls in die „Vergleichsfalle“ zu tappen, wird geraten. Denn sonst kann es zu einer „Seelenentzündung“ kommen. Prof. Busch illustriert das durch die Geschichte der durchaus begabten Weberin Arachne, die so ehrgeizig war, es mt der Göttin Athene aufnehmen zu wollen. Zur Strafe wurde sie in eine Spinne verwandelt.

Wobei ihm klar ist: In der Konkurrenzgesellschaft, in der wir leben, trainieren wir uns ein inflationäres Vergleichen an. „Viele meiner Patienten mit einer Krebserkrankung erzählen mir, sie hätten durch ihr Schicksal erst erkannt, wie kostbar … jene Gesundheit“ sei, die man vorher nie gewürdigt hatte. „Und zurzeit merken wir alle wieder, wie wertvoll Frieden eigentlich ist …“ Ach, lieber Professor Busch, Sie als Berater des Bundeskanzlers, da könnte ich wirklich wieder ruhig schlafen.

Psychologen haben ja die Gabe der Beobachtung, der Erklärung, der Ermutigung, ohne Menschen durch (Ab)Wertung noch mehr zu verwunden als sie es ohnehin schon sind. Friedlich werden: „Bei inneren Drachen und anderen Monstern … sollten wir nicht mit brachialer Gewalt aussichtslose Kämpfe gegen sie führen, sondern sie, so gut es geht, in unseren Alltag integrieren. Die meisten Monster beschwichtigt das, und wir gewinnen die Kontrolle über unser Leben zurück.“ Der Mann ist wirklich weise: „Monster, die uns den Weg versperren und die wir nict besiegen können, sollten wir ein Stück weit auf unsere Reise mitnehmen.“

Veränderungen annehmen, auch wenn sie erst einmal unangenehm sind, verzeihen, statt Kränkungen mit sich herumzutragen, die die Depressionen zur Folge haben können, ja sich gar in Gewalt entladen können. Da fragt man sich, wie verbreitet eine solche „Verbitterungsstörung“ inzwischen gar schon ist, noch angeheizt durch das Muster der Vergeltung, welches nicht nur durch Krimis spukt, sondern sogar Staatsoberhäupter in eine Zwangssituation bringt. Aber: „vergeltung führt im Regelfall nicht zur Heilung, sondern im Gegenteil zu noch mehr Wut, Isolation und ‚Entleerung‘.“

Und wie verhindert man das? Erstmal durchatmen und dann – was für ein kluger Rat! – das Gespräch suchen. „Aufeinander zuzugehen reduziert das Kränkungsgefühl – übrigens auf beiden Seiten.“ Als Beispiel für ein heilsames Vergeben und Verzeihen wird im Buch die Versöhnung Südafrikas angeführt. Ein sehr kluges Kapitel gibt es dann noch zum Sinn des Lebens. Da darf ich vermuten, dass der Autor ihn auch für sich selbst gefunden hat. Sowieso habe ich gemerkt, wie ihm die Arbeit an diesem Buch auch selbst Befriedigung gab. Stark im Inneren, kann er anderen raten. Nicht dauernd an Beunruhigendes denken, das will ich mir zu Herzen nehmen. „Malen Sie sich etwas Gutes aus …“

Prof. Dr. Volker Busch: Gute Nacht, Gehirn. Gedanken, um zur Ruhe zu kommen. Droemer, 256 S., geb., 18 €.

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