Willkommen in meinem Literatursalon
Irmtraud_Gutschke

Lesen macht glücklich, weil es uns sagt, wer wir sind und wer wir sein wollen, weil wir über uns hinauswachsen, in fremder Haut erleben dürfen, was uns sonst verschlossen bliebe. Heutzutage scheinen wir ja in Informationen zu ertrinken und haben doch das Gefühl, dass uns Wichtiges fehlt. Was ich suche, sind Bücher, die in diesem Sinne nachdenklich machen, ja auch solche, von denen ein Leuchten ausgeht. Viele Jahrzehnte habe ich als Literaturredakteurin mit Hunderten, ja Tausenden von Texten zu tun gehabt, auch selber Bücher geschrieben. Die Neugier auf Neues will ich hier mit anderen teilen.

„literatursalon.online“: Stellen Sie sich vor, wir sind zusammen in einem schönen Saal, und Sie möchten von mir wissen, was sich zu lesen lohnt. Was interessiert Sie denn, frage ich zurück. Politische Sachbücher? Gute Romane und Erzählungen? Spannende Krimis? Bildbände, die man immer wieder betrachten möchte? Mit meiner Auswahl lade ich Sie zu Ihren eigenen Entdeckungen ein.

Irmtraud Gutschke

Wenn Sie mehr über mich erfahren wollen - meine Biografie, meine Bücher und Veranstaltungen - , schauen Sie auf meine Webseite www.irmtraud-gutschke.de

Durch den wilden Kaukasus

„Glück. Glück. Glück“

„Durch den wilden Kaukasus“: Mit der wunderbaren Grafikerin Kat Menschik unterwegs durch das „georgische Traumland Swanetien“

Irmtraud Gutschke

Sterndolde, Wiesen-Knöterich, Kaukasus-Vergissmeinnicht … Vor allem Wildblumen hatten es der Künstlerin Kat Menschik angetan, als sie mit Freundinnen und Freunden aus dem Verlag Galiani Berlin eine Wanderreise durch den „wilden Kaukasus“ unternahm. „Kilometerweite, teils hüfthohe Blumenfelder, zaunlos, unberührt“ – das hat sie zu ihren farbenprächtigen Bildern inspiriert, die dieses Buch schmücken: Knabenkraut, Wolfsmilch, Breitglocken-Schachblume, Frühlings-Enzian, Bärenklau, Margarite, Krim-Lilie …

Einige dieser Blumen wie den Rosen-Waldmeister oder die Skabiose kann man wohl auch in hiesige Gärten pflanzen, aber den Kaukasus-Mohn gibt es vornehmlich in Armenien, Georgien, Aserbaidshan, und der wilde Kaukasus-Rhododendron bringt dort schon Ende April ein wahres Blütenmeer hervor.

Aber dies ist kein Vademecum der Botanik, auch wenn Kat Menschik uns mit so vielen Blumen verwöhnt. Im zehnten Band ihrer Reihe „Lieblingsbücher“ bei Galiani Berlin, prachtvoll aufgemacht mit Silberschnitt, sollte es natürlich vor allem um literarische wie auch landeskundliche Einblicke in eine Region gehen, die vielen deutschen Lesern unbekannt ist: Swanetien im Nordwesten von Georgien. Dazu hat Galiani-Verleger Wolfgang Hörner Reiseberichte des Geographen Gottfried Merzbacher (1843-1926) und der legendären Bergsteigerin Cenzi von Ficker (1878-1956)  ausgegraben und bearbeitet.

Merzbacher zeigte sich ebenfalls schon von den Blumen begeistert. Hätte Kat Menschik alle von ihm Genannten malen wollen, hätte man eine ganze Buchreihe machen müssen. Aber es wird auch spannend: Seine Gruppe gerät in ein Gewitter, wird getrennt, die Pferde stürmen vorwärts, Abgründen entgegen. Brot, Käse und Tee gibt es, als sie nach Mitternacht im kargen Quartier ankommen. Da habe ich an meine bevorstehende Reise nach Georgien und Armenien gedacht. Sie wird wohl weniger gefährlich sein, aber auf jeden Fall mehr kulinarische Genüsse bieten. Ob wir einen der Wohntürme sehen werden, die Cenzi von Ficker beschreibt? Auf jeden Fall steinerne Städte und Klöster, die zum Teil vor Tausenden von Jahren in den Fels geschlagen wurden.

„Das Geschehene geht dir voran und verfolgt dich“ – dieses Sprichwort hat Anna Kordsaida-Samadaschwili (geb. 1968) ihrer Erzählung „Mädchen“ vorangestellt. Der „Held im Pardelfell“, das berühmte Epos von Schota Rustaweli (1172-1216) kommt auch darin vor. Kat Menschik hat die Nacherzählung von Tilman Spreckelsen 2018 übrigens ebenfalls illustriert. Und auch die Vignetten zu den Texten stammen von ihr. Wobei die Ich-Erzählerin bei Kordsaia-Samadaschwili eine junge, selbstbewusste Frau ist. Mit modernen Ansichten, und trotzdem erzählt sie von den „Dewis“, die ihre Kinder heimlich den Menschen unterschieben, von Liebestränken, Namen, die Unglück bringen und allerlei Dämonen, vor denen man sich in Acht nehmen muss. Aber im Grunde ist sie eifersüchtig, weil ihr Freund ein Kind mit einer anderen bekommt.

Überaus vergnüglich ist auch „Geschichten auf einem Mehlsack geschrieben“. Abo Iaschaghaschwili, geboren 1977, lässt Leute aus Dörfern erzählen, in denen der Tourismus noch nicht Fuß gefasst hat. „Selbst die Hunde sind noch echt böse.“ Und wenn es einen Raubüberfall gab, ist der Polizeichef mit einer großen Ikone von Dorf zu Dorf gelaufen. Jeder musste einen Eid ablegen, dass er mit dem Verbrechen nichts zu tun hatte … „Ich vermisse diese Zeit.“

„Gewandert sind wir durch eine Natur, wie wir sie noch nie gesehen hatten“, schreibt Kat Menschik über „die schönste Reise“ ihres Lebens“. Abends blickte sie vom Balkon des Gasthauses weit über das Land. „Die Feldsteinkapelle. Der rauschende Fluss im Tal. Das Abendlicht. Georgischer Wein aus Porzellanbechern. Glück. Glück. Glück.“

Durch den wilden Kaukasus. Geschichten über das georgische Traumland Swanetien. Illustriert von Kat Menschik. Galiani Berlin, 128 S., Leinen, 22 €.

Kulturen und Traditionen im Kaukasus. 11-tägige Studienreise durch Georgien und Armenien. 28.9. bis 8.10.2025. Beratung und Buchung bei Frank Diekert, leserreisen@mazz.berlin

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