„Mein Vater … Jetzt ist er ein Garten“
Irmtraud Gutschke
Von den fünf Epigrammen, die dem Roman vorangestellt sind, dringt dieses am tiefsten in mich ein: „Das Paradies muß darin bestehen, daß ein Schmerz aufhört“. Da war der bulgarische Schriftsteller Georgi Gospodinov mit dem Schweden Lars Gustafsson auf einer Wellenlänge. „Ich bete, dass mein Vater keine großen Schmerzen hat.“ Siebenmal hat er das in sein Notizbuch geschrieben, „als ein Amulett, diese Zahl sollte helfen“. Aber irgendwann hilft sein Beten nicht mehr. Da denkt er manchmal sogar, „dass der Schmerz, der ganz konkrete physische Schmerz, geschickt wird, um die Trennung von der Welt zu erleichtern“.
Er füttert den Vater „wie ein Vögelchen“, legt sich neben ihn ins Bett und liest ihm vor. Für den an Krebs Sterbenden „gibt es keine Romantik. Der Blick wendet sich ab. Die Krankheit erobert dich von innen, frisst dich auf …“
Alle werden wir irgendwann konfrontiert mit dem Untröstlichen, das wir so lange nicht sehen wollen, bis es unabwendbar ist. Aber Georgi Gospodinow sucht ja in seinem Buch nach Trost. Indem er den Blick nicht abwendet und zu erfassen sucht, was in unserem endlichen Leben wirklich zählt. Es ist ein Buch der Liebe, die der Sohn für den Vater hat und umgekehrt. Das wohl persönlichste Werk dieses Autors, der für seinen ebenfalls bei Aufbau erschienenen Roman „Zeitflicht“ 2023 mit dem International Booker Prize ausgezeichnet wurde. Angesichts von Schmerz und Trauer hat er diesen Roman schreiben müssen.
In Erinnerungen und Geschichten will er den Vater lebendig halten. Wie er war als junger Mann, wie er aus dem Militärdienst ins Dorf zurückkam, wie sich die Eltern kennenlernten. „1089 war er fünfundvierzig“, die Eltern verloren ihre Arbeit. Dass sie sich Geld liehen, ein Stück Land pachteten war existenziell. „Ich sehe ihn, wie er durch den Garten geht, bei den Bäumchen stehenbleibt, etwas vor sich hin redet oder mit ihnen spricht … geht weiter bis zum Flechtzaun, um zu sehen, warum die Tulpen dieses Jahr auf sich warten lassen“.
Dieser Garten in einem bulgarischen Dorf wird sein Bild bewahren. „Mein Vater, der Gärtner, würde unsichtbar für uns hinter einem Strauch auftauchen, leise etwas in seinen Bart murmeln, an den Rosen riechen, einen vertrockneten Zweig entfernen. Und nur der Hund Dzako würde dann für einen Moment stehenbleiben, erst vor sich hinstarren, dann bellen und springen, glücklich mit dem Schwanz wedelnd und mit einer Freude, die uns unerklärlich bliebe.
„Gartenarbeit und Tod. Mir scheint, wir können davon ausgehen, dass die Gartenarbeit ursprünglich gegen den Tod gerichtet ist.“ Denn in der Botanik „ist die Widergeburt eine konkrete Allegorie, hier hat die Idee ihren Ursprung.“ Wiederauferstehung in Gedanken. „Mein Vater … Jetzt ist er ein Garten.“
Georgi Gospodinov: Der Gärtner und der Tod. Roman. Aus dem Bulgarischen von von Alexander Sitzmann. Aufbau Verlag, 240 S., geb., 24 €.