Willkommen in meinem Literatursalon
Irmtraud_Gutschke

Lesen macht glücklich, weil es uns sagt, wer wir sind und wer wir sein wollen, weil wir über uns hinauswachsen, in fremder Haut erleben dürfen, was uns sonst verschlossen bliebe. Heutzutage scheinen wir ja in Informationen zu ertrinken und haben doch das Gefühl, dass uns Wichtiges fehlt. Was ich suche, sind Bücher, die in diesem Sinne nachdenklich machen, ja auch solche, von denen ein Leuchten ausgeht. Viele Jahrzehnte habe ich als Literaturredakteurin mit Hunderten, ja Tausenden von Texten zu tun gehabt, auch selber Bücher geschrieben. Die Neugier auf Neues will ich hier mit anderen teilen.

„literatursalon.online“: Stellen Sie sich vor, wir sind zusammen in einem schönen Saal, und Sie möchten von mir wissen, was sich zu lesen lohnt. Was interessiert Sie denn, frage ich zurück. Politische Sachbücher? Gute Romane und Erzählungen? Spannende Krimis? Bildbände, die man immer wieder betrachten möchte? Mit meiner Auswahl lade ich Sie zu Ihren eigenen Entdeckungen ein.

Irmtraud Gutschke

Wenn Sie mehr über mich erfahren wollen - meine Biografie, meine Bücher und Veranstaltungen - , schauen Sie auf meine Webseite www.irmtraud-gutschke.de

Kriegstüchtig. Nein danke

Frieden heißt Brücken bauen

„Kriegstüchtig. Nein danke“, ein Plädoyer von Jörg Arnold und Peter Michael Diestel 

Irmtraud Gutschke

Dass man das Völkerrecht nicht wie „Kaugummi“ einfach ausspucken dürfe, darin sind sich Jörg Arnold und Peter-Michael Diestel einig. Aber weil genau dies geschieht, haben sie dieses Buch verfasst, in dem sie juristisch wie politisch argumentieren. „Wir streiten in unserem Essay für Frieden, für Abrüstung und Entmilitarisierung, dafür, dass die Gefahr eines atomaren Weltkriegs gebannt wird.“ Weil dabei ihr Fachwissen zum Tragen bringen, bietet der schmale Band eine Fülle von Fakten. Wer hat sich denn die UN-Charta wirklich im Detail zu Gemüte geführt? Dass sie der friedlichen Beilegung aller Streitigkeiten dienen soll, geht schließlich immer wieder mit ihrer Verletzung einher. Aber in einer multipolaren Weltordnung wird die UNO umso bedeutsamer werden. Da ist es wichtig zu wissen, was genau es mit dem völkerrechtlichen Gewaltverbot auf sich hat.

Eine spannende Frage ist, wie sich Auslandseinsätze der Bundeswehr dazu verhalten. Dass es bereits am 30. Juni 2022 eine Verfassungsänderung gab, die ein Sondervermögen für die Bundeswehr von 100 Milliarden Euro vorsah, dürfte vielen entgangen oder nicht mehr erinnerlich sein. Aber das war schon „der Auftakt für eine gigantische und bisher beispiellose Aufrüstung und Militarisierung in Deutschland“. Durch die Berufung auf eine „regelbasierte“ oder „wertebasierte Ordnung“ seien das Friedensgebot der UN-Charta sowie des Grundgesetzes in den Hintergrund gerückt, heißt es im Buch. Zudem ist im 2+4-Vertrag, festgehalten, dass „von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird“.

Detailliert wird der Gaza-Krieg betrachtet, der sich vom Verteidigungs- zum Vernichtungskrieg gewandelt hat. Dass Bundeskanzler Friedrich Merz sich nach dem Angriff auf Iran dazu verstieg, Israel habe die „Drecksarbeit für uns alle gemacht“, brachte ihm das eine Strafanzeige ein, die hier juristisch analysiert wird.

Bezüglich des Ukraine-Konflikts wird an der Formel „völkerrechtswidriger Angriffskrieg“ festgehalten. Ob Russland ohne Gefahr militärische Gewalt angewandt habe, darüber kann man streiten, dachte ich beim Lesen, zumindest wenn man die russisch verwaltete Krim einbezieht, die Wolodymyr Selenskyj zurückzuerobern versprach, und die jahrelange Gewalt der ukrainischen Armeegegen die vorwiegend russischsprachige Bevölkerung der sogenannten Separatistengebiete in der Ostukraine. All das hat man hierzulande weitgehend widerspruchslos hingenommen.  

Jedenfalls konstatieren die beiden Autoren (wie US-Präsident Trump übrigens auch), dass in der Ukraine inzwischen ein „Stellvertreterkrieg“ tobe, „mit dem strategischen Ziel der Schwächung Russlands“. Angesichts der Äußerung von Merz, die  deutsche Öffentlichkeit solle nicht mehr über Waffenlieferungen an die Ukraine informiert werden, befürchten die Autoren zu Recht, „dass eine Eskalation klamm heimlich vorbereitet wird, und zwar an der unmittelbar betroffenen deutschen Bevölkerung und ihrem Parlament vorbei“.

Aus ihrer Sicht kritisieren sie Russlands Festhalten an maximalen Kriegszielen ebenso  wie den Eifer Deutschlands, Waffensysteme anzuschaffen, die in die Tiefe des russischen Raumes reichen. „Die immer und immer wieder erfolgende Postulierung, dass Russland eine Kriegsgefahr für Europa sei, ist ein Mantra, um in Wirklichkeit eine gigantische Aufrüstung gerechtfertigt erscheinen zu lassen.“ Umso mehr, als man „sich damit im Bereich reiner Mutmaßung bewegt“. Vor diesem Hintergrund besteht nicht nur die Gefahr, dass eine allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt, sondern dass auch das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung ausgehebelt wird.

Ein eigenes Kapitel gilt der politisch motivierten Russophobie in Deutschland, wobei staatliche Repressionen in Russland nicht unerwähnt bleiben. Überhaupt gehört es zur Methode der Autoren, sich keiner Seite des Konflikts anzudienen und streng nach rechtlichen Kriterien zu urteilen. Manchen Einspruch hatte ich auf der Zunge, doch hat mich die Lektüre auch zum Nachdenken gebracht.

Frieden heißt Brücken bauen – auch zwischen jenen, die in ihrem Friedenswillen vereint, aber in ihren Ansichten ins kriegerische Geschehen hineingezogen sind. Polemisch zu spalten wird deshalb in diesem Buch vermieden. Über Meinungsverschiedenheiten hinweg wird nach etwas Verbindendem für die deutsche Friedensbewegung gesucht. Das sind zunächst soziale Belange. Wie „Kriegswirtschaft“ den Profit der Rüstungskonzerne in die Höhe treibt und das ruiniert, was noch vom Sozialstaat übrig ist, kann nicht in allgemeinem Interesse sein. Hinzu kommen die Gefährdungen von Umwelt und Klima. Auch dazu gibt es viele Einzelheiten.

Dass sich Mainstream-Medien „ganz auf Linie der herrschenden Politik“ befinden, dass Doppelstandards die Glaubwürdigkeit des Westens untergraben, ist offensichtlich und wird hier auch nicht ausgeblendet. Dabei ist die juristisch durchdachte Argumentation, wie gesagt, ein großer Vorzug des Buches. Denn eine „soziale Friedensgegenmacht“, wie sie jetzt umso notwendiger wird, braucht eine sachliche Grundlage. Noch ist sie zersplittert. Eine dermaßen große Aufzählung von Friedensgruppen wie hier findet sich anderswo nicht. Dazu gibt es eine lange Liste von Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Ecken des gesellschaftlichen Spektrums, die solche eine Bewegung tragen könnten und denen nicht selten mediale Kritik entgegenschlägt.

Es ist eine kluge Schlussfolgerung, dass man „über unterschiedliche Auffassungen hinweg“ zu „einem kleinsten gemeinsamen Nenner“ finden müsse – und sei es jener „dass mit Krieg kein Frieden zu erreichen ist“. Denn eines sollte einem klar sein: Die Zersplitterung der deutschen Friedensbewegung liegt im Interesse ihrer Gegner.

Jörg Arnold/Peter Michael Diestel: Kriegstüchtig. Nein danke. Plädoyer für Frieden und Völkerrecht. Das Neue Berlin, 109 S., br.,
12 €.

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