Der Irrtum – ein Zeichen
Irmtraud Gutschke
Vince Corso hatte eine Fahrkarte nach Neapel gebucht, wo er seine Freundin Feng zu treffen hoffte. Doch dann bestieg er in Rom den falschen Zug. Wer die früheren Detektivromane von Fabio Stassi kennt, darf zu Recht eine spannende Geschichte erwarten, in der Zufälle eine wichtige Rolle spielen. Ebenso wie Bücher, denn der Detektiv ist eigentlich „Bibliotherapeut“. Menschen erzählen ihm von ihren Seelennöten, und er empfiehlt ihnen heilsame Lektüre.
Also steckt auch dieser Roman voller literarischer Anspielungen. Die zeugen nicht nur von der bewundernswerten Literaturkenntnis des Autors, sondern auch von seiner Lebensweisheit, die er mit schriftstellerischer Raffinesse an uns weitergibt. Denn wer viel liest, kann ein besonderes Verhältnis zur Wirklichkeit gewinnen, muss am Chaotischen vielleicht weniger verzweifeln, weil neben der Realität die Magie literarischer Gestaltung existiert.
„Ich wollte Ihnen nur nahelegen, dass Sie diesen Irrtum als ein Zeichen deuten könnten“, sagt der ältere Herr, der Vince Corso im Zug nach Genua gegenübersitzt. Dort ging er aufs Gymnasium und nimmt es als Ruf des Schicksals, weiter nach Nizza zu reisen, wo seine Mutter im Hotel „Negresco“ neun Monate vor seiner Geburt, also am 27. Juli 1969, ein Mann mit auf ihr Zimmer nahm. Wie viele Postkarten hatte Vince Corso später an diesen Unbekannten ins „Negresco“ geschickt! Sollte sich sein Name nicht im Gästeverzeichnis finden?
„Das Ausmaß von Liebe“: In spannender Detektivarbeit enthüllt sich eine sehnsuchtsvoll romantische Geschichte. Hatte der Vater denn gar nicht an ihn und seine Mutter gedacht? Die Antwort wird Vince Corso in Marseille erhalten – mit einem Stapel Postkarten und Stendhals „Über die Liebe“, ebenso in blaues Leinen gebunden wie die drei Bücher, die damals auf dem Nachttisch seiner Mutter liegen blieben.
Fabio Stassi: Das Ausmaß der Liebe. Detektivroman. Aus dem Italienischen von Annette Kopetzki. Edition Converso, 140 S., geb.,
22 €