Willkommen in meinem Literatursalon
Irmtraud_Gutschke

Lesen macht glücklich, weil es uns sagt, wer wir sind und wer wir sein wollen, weil wir über uns hinauswachsen, in fremder Haut erleben dürfen, was uns sonst verschlossen bliebe. Heutzutage scheinen wir ja in Informationen zu ertrinken und haben doch das Gefühl, dass uns Wichtiges fehlt. Was ich suche, sind Bücher, die in diesem Sinne nachdenklich machen, ja auch solche, von denen ein Leuchten ausgeht. Viele Jahrzehnte habe ich als Literaturredakteurin mit Hunderten, ja Tausenden von Texten zu tun gehabt, auch selber Bücher geschrieben. Die Neugier auf Neues will ich hier mit anderen teilen.

„literatursalon.online“: Stellen Sie sich vor, wir sind zusammen in einem schönen Saal, und Sie möchten von mir wissen, was sich zu lesen lohnt. Was interessiert Sie denn, frage ich zurück. Politische Sachbücher? Gute Romane und Erzählungen? Spannende Krimis? Bildbände, die man immer wieder betrachten möchte? Mit meiner Auswahl lade ich Sie zu Ihren eigenen Entdeckungen ein.

Irmtraud Gutschke

Wenn Sie mehr über mich erfahren wollen - meine Biografie, meine Bücher und Veranstaltungen - , schauen Sie auf meine Webseite www.irmtraud-gutschke.de

Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart

Sanierung wäre möglich gewesen

Irmtraud Gutschke

„Hin und weg“ – wie gut der Titel passt! Hin und weg waren die Leute wirklich, schon wenn sie ins Foyer des Palastes kamen. Wie alles leuchtete und glänzte! Wie viele Gemälde es zu sehen gab! Den despektierlichen Ausdruck „Erichs Lampenladen“ habe ich damals von niemandem gehört. Freilich feierte sich die DDR mit diesem Bau auch selbst, aber eben so, wie sie sich verstand: Ein Haus des Volkes sollte es sein. Unter einem Dach waren der Tagungssaal der Volkskammer und Restaurants, vor denen man anstehen musste, so viele wollten rein. Es gab ein Theater, eine Bowlingbahn, und eine große Gemäldegalerie war das Haus sowieso.

Mit dem Abriss und dem Neubau des Schlosses an dieser Stelle wurde ein politisches Zeichen gesetzt. Der Beitritt der DDR zur BRD stellte Machtverhältnisse klar. Gelten sollte, was im Westen gang und gäbe war. Was den Osten betraf, war Übernahme angesagt, was aber nicht hieß, dass irgendetwas aus dem DDR-Erbe wertschätzend übernommen werden sollte. Diese Geringschätzung rächt sich nun in Groll und Ressentiment in den neuen Bundesländern.

Die Ausstellung „Hin und weg“ widmet das Humboldt Forum sozusagen der eigenen Vergangenheit, wurde beim Bau des Schlosses doch die Betonfundamentierung des Palastes verwendet. Dabei ist man sich klar gewesen: „Der Schlossplatz, seit 1951 Marx-Engels-Platz, seit 1994 wiederum Schlossplatz, ist seit Jahrhunderten ein Ort der Macht und staatspolitischer Repräsentation“ gewesen, wie Reinhard Allings im Buch schreibt. Zu Recht stellt er Verbindungen her zum West-Berliner ICC und zu den „Sieben Schwestern“, den repräsentativen Hochhäusern in Moskau. Auf eine sachlich informative Weise lässt er nachvollziehen, wie der Entwurf für den Palast entstand. Im Sommer 1972 erhielt das Projektierungskollektiv unter der Leitung des 45-jährigen Heinz Graffunder den Autrag eine Grundsatzstudie zu erstellen. Dazu wurden auch Architekten aus der jüngeren Generation herangezogen.

Wie das im einzelnen vonstattenging, lässt die Lektüre detailliert nachvollziehen. Über die Gesamtkosten für den Bau können man „allenfalls spekulieren“. Nachzulesen, was der Palast alles an Kultur- und Freizeiteinrichtungen bot. Das wird bei vielen Erinnerungen wecken. Dankbar kann man sein für eine Fülle von Abbildungen – alles durchgestaltet, bis hin zur Dienstkleidung der Mitarbeiter. Oliver Sukrow betrachtet den Zusammenhang von Design und sozialistischer Lebensweise sowie die Synthese der Künste, die mit dem Bau des Palastes bezweckt war. Der „Gläsernen Blume“ im Hauptfoyer gilt ein extra Kapitel. Und es kommen auch jene zu Wort, die am Bau mitgewirkt haben: Bruno Flierl, Wolf R. Eisentraut, Brigitte Fahlisch, Joachim Koenig, Gertraude Pohl …

Natürlich durfte nach all den würdigenden Worten auch ein Kapitel zur Arbeit des MfS im Palast nicht fehlen. Wie allerdings gar nicht gehemmt es zuging im Palast, führt die anschließende große Fotostrecke vor Augen. Dazu ist Ilko-Sascha Kowalczuk ein vielschichtiger Erinnerungstext gelungen, Das Kulturprogramm nebst Veranstaltungsplakaten, Erinnerungsstücken, die es heute noch gibt – kein Zweifel wird daran gelassen, dass der Palast nicht nur politisches Repräsentationsobjekt, sondern wirklich ein Haus des Volkes war.

Umbruch 1989/90 und Abbruch 1990-2013 gehen in einander über. In Wort und Bild sind die Proteste gegen den Abriss des Gebäudes dokumentiert. „Eine Dominanzgeste“, urteilt die Judith Enders, Politikwissenschaftlerin und Mitbegründerin der Initiative Dritte Generation Ost, auf die mich dieses Buch dankenswerter Weise aufmerksam macht. Mit ihr kommen viele zu Wort, die mit dem Palast Erinnerungen verbinden.

Und wie war es mit dem Spritzasbest? Auch hierzu kann man Genaues erfahren. Mit einer Asbestsanierung wurde 1997 sogar begonnen. „Der asbestsanierte Rohbau hätte eine denkmalgerechte Wiederherstellung durchaus erlaubt.“ Was da im Artikel von Bruno Torres Sunén zu lesen ist, mögen viele nicht wissen. Mit der politisch motivierten Entscheidung gegen den Palast sei der „Berliner und der gesamtdeutschen Denkmallandschaft … ein bedeutendes zeitgeschichtliches Zeugnis der Staatsrepräsentation und der Unterhaltungskultur der DDR verloren “ gegangen.

1992 bereits hatte der Bremer Landmaschinenhändler Wilhelm von Boddien den Förderverein Berliner Schloss gegründet und damit die Debatte über die Rekonstruktion des alten Hohenzollernschlosses vorangetrieben, die schon Ende 1990 von Joachim Fest mit einem Artikel in der FAZ ausgelöst worden war. 1992 sprang der Publizist und Verleger Wolf Jobst Siedler im selben Blatt bei …“ 1993 ließ Boddien eine Attrappe aufbauen, um Spender anzulocken. 2008 wurde der Abriss des Palastes vollendet.

„Heute, so darf vermutet werden, würde der Palast der Republik wohl nicht mehr abgerissen werden“, schreibt Hanno Hochmuth. „Der Diskurs hat sich gewandelt.“ Wenn ich auch immer noch daran Zweifel habe, ob sich tiefgreifend wirklich etwas gewandelt hat, was das DDR-Bild in der bundesdeutschen Öffentlichkeit betrifft. Die Ausstellung und der repräsentative Band sind zumindest ein ermutigendes Zeichen.

Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart. Begleitbuch zur Ausstellung vom 17. Mai 2024 bis 16. Februar 2025 im Humboldt Forum Berlin. E. A. Seemann Verlag, 248 S., geb., 36 €.

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