Charlotte Müller: Claras Weg

Sehen lernen

Irmtraud Gutschke

„Kunstanstifter“ – das bedeutet, dass Bücher nicht „einfach nur“ illustriert sind, sondern dass Text und Bild in einer Weise verschmelzen, dass Gesamtkunstwerke entstehen. Wobei dieser Verlag überhaupt den Ehrgeiz hat, Kunst „anzustiften“. Das heißt Künstlerinnen und Künstlern Entfaltungsmöglichkeiten zu geben. In diesem Falle sind es zwei: Charlotte Müller verbringt ihre Freizeit gern auf dem Fahrrad, wenn sie nicht gerade zeichnet und malt. Christiane Dunkel-Koberg – sie war verantwortlich für die Typographie – hat sogar zwei Fahrräder – ein grünes und ein silbernes.

In diesem Buch spielt ein orangefarbenes Tandem die Hauptrolle. Clara geht ja erst in die 1. Klasse, und der Weg zur Schule ist weit. Also ist ihre Mutter dabei. Gemeinsam entdecken sie etwas Neues auf dem Weg durch die große Stadt. Wie vielfältig Berlin ist in den verschiedenen Jahreszeiten! Was es da alles zu sehen gibt an Gebäuden, Baustellen, Parkanlagen, verschiedenen Autos, Schiffen auf der Spree. Wie wäre es da wohl, wenn man auch unter Wasser fahren könnte? Hunde, Katzen, Füchse, Eichhörnchen, Krähen, Spatzen – sogar ein Graureiher wird gesichtet. Zusehen kann man, wie aus Küken kleine Schwäne werden. Noch sind sie grau. In einem Jahr werden sie schneeweiß sein. „Und was ich fast vergessen hätte: Neulich haben wir einen Mann mit Huhn gesehen…“

Knappe Texte, detailverliebte leuchtend farbige Bilder. Kleinere Kinder haben ein „Wimmelbuch“ vor sich. Größere werden fortan vielleicht aufmerksamer sein, wenn sie auf dem Schulweg sind. Und Erwachsene erst: Sie haben ja den Kopf voll und sind in ihrem hastigen Geradeaus mitunter fast von Blindheit geschlagen. bemerken so viel Interessantes nicht. Wie schade das ist, sagt uns das Buch und wie gut es wäre, achtsamer zu sein.

Charlotte Müller: Claras Weg. Kunstanstifter Verlag, 56 S., geb., 24 €.