Mit Horror gegen den Horror
Irmtraud Gutschke
Zu Halloween werden wir es wieder erleben: Freundliche Kinder verwandeln sich in Hexen und Vampire. Schon vorher gibt es schwarze Ganzkörperanzüge zu kaufen, die durch ein aufgedrucktes weißes Skelett gruslig erscheinen sollen. Aber auch ohne diesen Brauch: Grusel- und Horrorliteratur gibt es schon seit Jahrhunderten. Märchen mal beiseitegelassen, die ja auch ziemlich gruslig sein können, richtete sie sich gemeinhin an Erwachsene. „Das große Buch des Schreckens“ ist für Kinder ab zwölf gedacht. Vampire, Werwölfe, lebendig gewordene Mumien, Hexen, Geister wie das „Phantom der Oper“ und allerlei andere Gespenster treiben hier ihr Unwesen.
Eine unheimliche Riesenkrake taucht auf, der sagenhafte Minotaurus wird beschworen. Man lernt Dr. Griffin kennen, der eine Formel fand, um sich unsichtbar zu machen, sich dann aber nicht zurück verwandeln konnte. Bei „Frankensteins Monster“ erfährt man immerhin, dass Mary Shelley im zarten Alter von 18 Jahren die Idee zu dieser Schauergeschichte hatte, während sie in der Schweiz mit Lord Byron zusammentraf. Ein Vulkanausbruch soll den Himmel verdunkelt haben, sodass sie nur selten das Haus verlassen konnten. So amüsierten sie sich mit Gruselgeschichten. Bei Dr. Griffin muss man rätseln, wobei viele Erwachsene doch wissen dürften, dass der Roman „Der Unsichtbare“ von H. G. Wells stammte.
Wer sich einigermaßen in der griechischen Sagenwelt auskennt, dürfte Medusa kennen. Mit ihrem schlangenartigen Haar und ihrem eisigen Blick konnte sie jeden zu Stein erstarren lassen, der sie nur anschaute. Klar, dass sie keine Liebe fand. Furchterregende Oger geistern durch diverse Trickfilme. Der „Wendigo“ indes war mir neu. Nordamerikanische Ureinwohner erzählten einander am Lagerfeuer von dieser riesigen Kreatur mit Hörnern und Klauen, die Menschen auflauerte und sie zu Kannibalen machte. Nun, da kann man sich leicht vorstellen, dass nicht Wendigo es gewesen ist, sondern der Hunger, so dass dann ein böser Geist als Schuldiger herhalten musste.
Und schließlich die Außerirdischen mit ihren UFOs, wie man sie aus vielen Science-Fiktion-Filmen kennt: Pass auf, dass sie dich nicht entführen.
Aber nein, du sollst überhaupt nicht aufpassen, sondern dich amüsieren. Da kann man fragen, wie Horror denn amüsant sein soll. Wie man weiß, wird beim Lesen solcher Bücher oder beim Schauen solcher Filme der Botenstoff Dopamin ausgeschüttet. Ein durch künstliche Gefahr erzeugter Adrenalinstoß kann zu einem Gefühl der Erleichterung und Euphorie führen, nachdem die Angst nachgelassen hat.
Aber sei es, wie es sei, durch die graphische Gestaltung des Katalanen Pep Boatella ist das Buch zu einem Gesamtkunstwerk geworden, das selbst schon manches Rätsel birgt, bereit, dass wir es lüften. Ist auf der ersten Seite nicht schon Edgar Allan Poe zu sehen? Neben dem Kamin sitzt eine schwarze Katze. Obwohl sie im Text nicht erwähnt ist, diese Geschichte ist wirklich gruslig und am besten nicht vor dem Zubettgehen zu lesen.
Mia Cassany und Pep Boatella: Das große Buch des Schreckens. Horror- und Gruselgeschichten aus aller Welt. Knesebeck, 52 S., geb., 20 €.