Willkommen in meinem Literatursalon
Irmtraud_Gutschke

Lesen macht glücklich, weil es uns sagt, wer wir sind und wer wir sein wollen, weil wir über uns hinauswachsen, in fremder Haut erleben dürfen, was uns sonst verschlossen bliebe. Heutzutage scheinen wir ja in Informationen zu ertrinken und haben doch das Gefühl, dass uns Wichtiges fehlt. Was ich suche, sind Bücher, die in diesem Sinne nachdenklich machen, ja auch solche, von denen ein Leuchten ausgeht. Viele Jahrzehnte habe ich als Literaturredakteurin mit Hunderten, ja Tausenden von Texten zu tun gehabt, auch selber Bücher geschrieben. Die Neugier auf Neues will ich hier mit anderen teilen.

„literatursalon.online“: Stellen Sie sich vor, wir sind zusammen in einem schönen Saal, und Sie möchten von mir wissen, was sich zu lesen lohnt. Was interessiert Sie denn, frage ich zurück. Politische Sachbücher? Gute Romane und Erzählungen? Spannende Krimis? Bildbände, die man immer wieder betrachten möchte? Mit meiner Auswahl lade ich Sie zu Ihren eigenen Entdeckungen ein.

Irmtraud Gutschke

Wenn Sie mehr über mich erfahren wollen - meine Biografie, meine Bücher und Veranstaltungen - , schauen Sie auf meine Webseite www.irmtraud-gutschke.de

Michael Lüders: Strahlendes Eis

„Klimaerwärmung? Big Business hat Vorrang“

Grönland-Thriller und  politischer Appell: „Strahlendes Eis“ von Michael Lüders

Irmtraud Gutschke

„Die einzige Örtlichkeit, in der es weder den Russen noch sonst wem gelungen ist, uns abzuhören, ist dieses Badezimmer.“ Also sehen wir Berit, die Chefin von E 39, auf der Kloschüssel und ihre beiden Agenten, Sophie und Harald, auf dem Rand der Badewanne sitzen. „Ihre Handys lagen in Silberfolie eingewickelt in einer Büroschublade …“ Die norwegische Premierministerin vor den dunklen Machenschaften ihres Finanzministers zu schützen, zumindest das hat die kleine Spezialeinheit inzwischen geschafft. Den amerikanisch-russischen Verbindungen eines zwielichtigen Reeders sind sie auf die Spur gekommen – und haben persönlich so manche gefährliche Situation überstanden. Insofern bietet „Strahlendes Eis“ von Michael Lüders Action-Spannung noch und noch, so wie es sich für einen Thriller gehört.

„Die folgende Geschichte ist frei erfunden. Die historischen Bezüge allerdings sind es nicht.“ Mit dieser Ankündigung öffnet der Autor allerdings noch einen viel größeren Spannungsbogen. Viele, die dieses Buch lesen, mögen nicht einmal gewusst haben, dass es US-amerikanische Militärbasen auf Grönland gab und gibt und dass die Inuit dafür vertrieben wurden. Die Thule-Air Base wird weiter mit viel Geld  ausgebaut, andere sind verlassen und verseuchen die Umwelt. Auf einer Konferenz in Reykjavik sollte das angeprangert werden, wobei es auch darum geht, Norwegens Ausstieg aus der Erdöl-Exploration rund um Spitzbergen juristisch zu erzwingen.

Umweltaktivistinnen wie Brigitta Arnósdóttir und Natan Hammond als Stimme der Inuit machen sich stark. Brigitta hat gerade den Absturz eines Hubschraubers überlebt, in dem mehrere krebskranke Männer saßen, die nun nicht mehr an der Konferenz teilnehmen können. „Sie wollten erzählen, was ihnen geschehen ist, 1968 in Grönland. Als sie dort verstrahlt worden sind.“ War das Unglück gar gewollt, um sie daran zu hindern?

Der Buchtitel „Strahlendes Eis“ bezieht sich auf den Absturz eines US-amerikanischen B-52-Bombers am 21. Januar 1958. Vier Wasserstoffbomben waren an Bord. Beim Aufprall auf die Wasseroberfläche wurden die konventionellen Sprengladungen in den Atomwaffen ausgelöst, sodass die nähere Umgebung kontaminiert wurde. Darüber hinaus ist überhaupt nicht sicher, ob tatsächlich alle vier Sprengköpfe entsorgt worden sind. Im Roman werden Arbeiten an der Unglücksstelle beobachtet, die auf das Gegenteil schließen lassen.

Unter dem Namen Hans Brede stellt Harald auf einem Schiff Recherchen an. „Wir sollen militärische Hinterlassenschaften wegräumen oder sprengen. Sonst können wir den Meeresboden nicht nach Rohstoffen absuchen. Nicht in dieser Gegend, der Absturzstelle des B-52-Bombers. Und Probebohrungen ganz in der Nähe lassen ahnen: Wir sitzen hier auf einer Goldgrube, was Seltene Erden betrifft.“ Also würde es wohl darauf hinauslaufen, den Meeresboden zu versiegeln … „Unmengen an Beton, damit ließen sich 100 Kilometer Autobahn bauen.“ Ausgerechnet der das sagt, ist kurz darauf tot…

Und währenddessen schmilzt das Eis. Acht Millionen Tonnen jeden Tag, unaufhörlich. Was würde es auch für uns bedeuten, wenn sich ganze Meere von Süßwasser in den Atlantik ergießen?

„Klimaerwärmung? Big Business hat Vorrang“, seufzt Natan Hammond. Durch ihn und seinen Vater Aqqaluk bringt Michael Lüders das uralte Wissen der Innuit ins Buch. Wir lernen was Qideq bedeutet – die Einheit von Körper Seele und Bewusstsein. „Das sei die größte Herausforderung. Eins zu werden mit der Vergangenheit wie auch mit der Zukunft, um die Gegenwart mit Leben zu erfüllen. Einem Leben, das sich nicht erschöpfe in Mehrwert und Gewinn, auf Kosten des Planeten.“

Michael Lüders: Strahlendes Eis. Thriller. C.H.Beck, 345 S., geb., 18 €.

Weiter Beitrag

Zurück Beitrag

Antworten

 

© 2024 Literatursalon

Login