Willkommen in meinem Literatursalon
Irmtraud_Gutschke

Lesen macht glücklich, weil es uns sagt, wer wir sind und wer wir sein wollen, weil wir über uns hinauswachsen, in fremder Haut erleben dürfen, was uns sonst verschlossen bliebe. Heutzutage scheinen wir ja in Informationen zu ertrinken und haben doch das Gefühl, dass uns Wichtiges fehlt. Was ich suche, sind Bücher, die in diesem Sinne nachdenklich machen, ja auch solche, von denen ein Leuchten ausgeht. Viele Jahrzehnte habe ich als Literaturredakteurin mit Hunderten, ja Tausenden von Texten zu tun gehabt, auch selber Bücher geschrieben. Die Neugier auf Neues will ich hier mit anderen teilen.

„literatursalon.online“: Stellen Sie sich vor, wir sind zusammen in einem schönen Saal, und Sie möchten von mir wissen, was sich zu lesen lohnt. Was interessiert Sie denn, frage ich zurück. Politische Sachbücher? Gute Romane und Erzählungen? Spannende Krimis? Bildbände, die man immer wieder betrachten möchte? Mit meiner Auswahl lade ich Sie zu Ihren eigenen Entdeckungen ein.

Irmtraud Gutschke

Wenn Sie mehr über mich erfahren wollen - meine Biografie, meine Bücher und Veranstaltungen - , schauen Sie auf meine Webseite www.irmtraud-gutschke.de

Olga Martynova: Gespräch über die Trauer

„Oleg ist in der Welt, in der ich lebe“

Irmtraud Gutschke

Vier Jahre lang hat Olga Martynowa an diesem Buch gearbeitet. Nur durch Schreiben konnte sie versuchen, zu sich selbst zu kommen, nachdem ihr Mann, der Schriftsteller Oleg Jurjew, am 5. Juli 2018 überraschend an seiner langjährigen Krankheit gestorben war. Er war erst 58, und sie wusste nicht, wie sie weiterleben sollte. 37 Jahre gemeinsamen Lebens und Arbeitens – die Trauer ist unerträglich und erscheint ihr dennoch irgendwie kostbar. Eine Linderung des Schmerzes, so sie überhaupt möglich wäre, lehnt sie ab. Denn im Schmerz kann sie Oleg bei sich behalten.

„Bis der Trost eintritt, schimmert noch Hoffnung.“ – Ein rätselhafter Satz schon auf der ersten Seite. Denn Trost würde das Leben wieder normal werden lassen, was sie nicht will. „Die am meisten unerwiderte Liebe ist die Liebe zu einem Gestorbenen. Sie schreibt Tagebuch: „Jetzt würden wir Kaffee trinken …. nach em Regen: …. Wir würden in die Weinberge gehen (wir wären gegangen …) Lesend überträgt man ihren Schmerz auf ein eigenes Was-Wäre-Wenn und wendet sich erschrocken ab, um dann wieder in diesen fulminanten Text hineingezogen werden.

Nähe und Abstand: Wie die Autorin die Last der Trauer tapfer annimmt, fast daran zerbricht und dann wieder über sich hinauswächst, indem sie die Weltliteratur durchforstet, Verbindung sucht zu anderen Autorinnen und Autoren, die irgendwie mit dem Tod zurechtzukommen suchten. Aber das lenkt sie nicht ab: „Was mich von meiner Trauer ablenkt, ist störend.“

Erinnerungen, so viele, und Phantasien: „Ich versuche mir vorzustellen, was Oleg jetzt machen würde, wäre ich gestorben …“ Was, wenn er sie beobachten, hören könnte? „Ich kann mit der verbreiteten Meinung nichts anfangen, die Toten würden sich wünschen, dass wir uns von unserer Trauer befreien. Würden wir uns über die Botschaft freuen, dass unsere Toten keine Sehnsucht nach uns haben? Eben.“

Also muss sie selbst so lange wie möglich am Leben bleiben. Und schreiben, um nicht loszulassen, sondern festzuhalten. „Oleg ist in der Welt, in der ich lebe.“

Olga Martynova: Gespräch über die Trauer. S. Fischer Verlag, 303 S., geb., 25 €.

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