Die Rechte und die Linke: Deal im Dilemma
Irmtraud Gutschke
Wo überall ist er für seine Bücher schon unterwegs gewesen in dieser „beunruhigten Welt“? Auf einem Flüchtlingstreck, durch das östliche Europa bis nach Isfahan … Und im vorigen Jahr ist sein Band „In eine andere Richtung jetzt. Eine Reise durch Ostafrika“ bei C.H.Beck erschienen. In dieser kleinen Erzählung nun wird aufgezählt, worauf Augen, Ohren, Nase, Mund, Bauch und Kopf sich in Afrika freuen können. Überraschende Genüsse noch und noch – für das Herz, die Beine, die Kehle, die Füße und sogar für den Popo. Das werden Kinder mit Lachen quittieren.
Ein Buch zum Vorlesen, aber Erwachsene werden sich mindestens genauso amüsieren. Denn sie kennen das Dilemma, das vielleicht mit dem Alter immer größer wird, gerade wenn man mit vielen Tätigkeiten ausgelastet ist und sich nach Erholung sehnt. Navid Kermani, 1967 als Sohn iranischer Eltern in Siegen geboren, ist zwar noch längst nicht alt, aber zwischen Reisen durch die Welt, Text-Verpflichtungen und Veranstaltungsanfragen ist oft zu wenig Ruhe. Und mir ist es auch schon oft so gegangen: Erst freut man sich auf eine Reise, die nicht weit genug sein kann. Aber wenn sie heranrückt, hätte man nichts dagegen, sie zu verschieben. So schön, beruhigend, gemütlich erscheint einem dann das gewohnte Umfeld, dass man es besonders wertschätzt. Andererseits: Die Reise ist gebucht und verspricht ganz besondere Erlebnisse. Man wird sie antreten. Der Koffer wird gepackt. Man freut sich einerseits, andererseits bedauert man in der Nacht vor der Abreise beim Einschlafen, dass man sein bequemes Bett nicht mitnehmen kann.
Es ist ungeheuer witzig, wie Navid Kermani diesen Zwiespalt verarbeitet. Und der großartige Grafiker Mehrdad Zaeri hat es ins Bild gesetzt. Eine körperliche Spaltung findet statt. Augen, Ohren, Mund und Nase, Bauch, Kopf, Herz und Popo, Beine, Kehle und Füße sind voller Reiselust und haben jeweils ihre eigenen Erwartungen. Die rechte Hand freut sich auf die vielen Hände, die sie in Afrika wohl schütteln kann. Die linke aber krallt sich am Heizungsrohr fest: „Ich will nicht nach Afrika … Zu Hause ist es schöner.“ Ein Streit entbrennt. Die rechte Hand schlägt vor, die linke abzuschneiden. Und die Zeit drängt.
Wie nun die Lage eskaliert, ein Heizungsmonteur gerufen wird, die linke Hand aber ungerührt bleibt, das ist so voller Situationskomik beschrieben, erscheint aber als unlösbarer Konflikt. Wie kann sowas enden? Durch Gewalt funktioniert es nicht. Es braucht einen Deal! „Was wünschst du dir denn?“, fragt der Mund. Könnte das nicht generell ein Rezept sein, scheinbar unlösbare Konflikte aus der Welt zu schaffen?avid Kermani: Zu Hause ist es am schönsten, sagte die linke Hand und hielt sich an der Heizung fest. Bilder von Mehrdad Zaeri. Hanser, 48 S., geb., 17 €.