„Das Wertvollste, was es gibt“
Irmtraud Gutschke
Zugegeben: Erst einmal wegen der Illustratorin Kat Menschik habe ich mich für dieses Buch interessiert. Weil ich ihr Arbeiten hoch schätze und meine, dass sie ein unschätzbarer Gewinn für den deutschen Buchmarkt ist. Denn eine begnadete Grafikerin, hat sie zugleich Sinn für Literatur. Sie trifft eine Auswahl: Nur Texte, die ihr zu Herzen gehen, inspirieren sie.
Wobei das jetzt nicht so klingen sollte, als wäre mir die österreichische Autorin Monika Helfer egal. Aus eigener Leseerfahrung weiß ich, dass ihr Name für literarische Qualität bürgt. Manches, was wir hier zu lesen bekommen, hat sie schon in ihrem Roman „Vati“ erzählt, mit dem sie 1921 für den Deutschen Buchpreis nominiert war. In diesem kleinen Text nun konzentriert sie sich ganz auf die Liebe zu Büchern, die in ihr schon als Kind durch den kriegsversehrten Vater bestärkt worden ist. Ruhig, nachdenklich vertieft sie sich in ihre Familiengeschichte, von ihren Eltern, die sich im Lazarett kennengelernt hatten, denn dem Vater musste ein erfrorenes Bein amputiert werden, und dann von dem „Kriegsopfererholungsheim“, in dem Mutter mit den Ratten eine Verabredung traf. Später wurde sie sterbenskrank.
Aber diese Erzählung gilt vor allem dem Vater: „Ein blasser Mann, der das Wetter mied und Tag und Nacht über seinen Büchern saß.“ Die schien er zu lieben „mehr ls die Menschen, denn die konnten ihm Böses antun. Die Bücher niemals und nie.“ Diesem Mann fühlte ich mich gleich verbunden. Schon als Kind war es bei mir so, dass ich mich vom Lesen nicht losreißen wollte, um mal „raus“ zu gehen, wie die Mutter mahnte.
Aber der Mann, von dem hier die Rede ist, musste sich die Bibliothek erst schaffen, aus der er sich bedienen konnte. Die Bibliothek im Kriegsinvalidenheim entstand, weil ein Heidelberger Professor ihm seine Büchersammlung vermachte – als Gegenleistung dafür, dass sein kriegsversehrter Sohn (mit Monika Helfers Vater etwa gleichaltrig) hier eine gute Pflege und Aufmunterung durch Vorlesen erfahren würde. Der Vater selbst besaß nur 132 Bücher. Nun aber umfasste die Bibliothek zweitausendneunhundertachtundneunzig Bände. Sie auszuleihen, war der Vater gar nicht so sehr interessiert. „Ein Knick – und wäre es nur ein winziger. Ein Bleistiftstrich – und wäre es nur ein winziger. Um Himmelswillen, ein Fettfleck! Eselsohren, Kaffeeflecken. Oder wenn ein Buch gar verschwände…“
Wie das Heim zum „Paradies“ wurde, wird auf mitreißende Weise erzählt und wie sie daraus vertrieben wurden, denn „das Heim rentiere sich nicht mehr“. Es sollte zu einem Hotel werden. „Vati erschrak bis hinunter in die kleinen Fußzehen.“ Denn das schlimmste war, dass die Bücher abgeholt werden würden. Sein ganzer Trost. Aussortieren, die ihm wichtigen von den weniger wichtigen trennen? Mit einem selbstironischen Augenzwinkern erzählt Monika Helfer, wie ein „Bücherfreund“ daran scheitern muss, denn beim genauen Hinsehen, ist ihm alles lieb. Und dann kommt ein großes Abenteuer für Vater und Tochter, das hier nicht verraten werden soll. Die Bücherrettung – eine schwierige Sache für die beiden und für beim Lesen uns ein großer Spaß.
Was Bücher denn so wertvoll macht? „Du musst dir vorstellen, Monika, in diesen Büchern haben die klügsten Menschen ihre Gedanken aufgeschrieben. Das ist das Wertvollste, was es gibt, und deshalb muss ich dei Bücher vor schlechten Menschen in Sicherheit bringen. Das verstehst du doch, oder?“
Monika Helfer: Der Bücherfreund. Erzählung. Illustriert von Kat Menschik. Hanser, 74 S., geb., 22 €.