Willkommen in meinem Literatursalon
Irmtraud_Gutschke

Lesen macht glücklich, weil es uns sagt, wer wir sind und wer wir sein wollen, weil wir über uns hinauswachsen, in fremder Haut erleben dürfen, was uns sonst verschlossen bliebe. Heutzutage scheinen wir ja in Informationen zu ertrinken und haben doch das Gefühl, dass uns Wichtiges fehlt. Was ich suche, sind Bücher, die in diesem Sinne nachdenklich machen, ja auch solche, von denen ein Leuchten ausgeht. Viele Jahrzehnte habe ich als Literaturredakteurin mit Hunderten, ja Tausenden von Texten zu tun gehabt, auch selber Bücher geschrieben. Die Neugier auf Neues will ich hier mit anderen teilen.

„literatursalon.online“: Stellen Sie sich vor, wir sind zusammen in einem schönen Saal, und Sie möchten von mir wissen, was sich zu lesen lohnt. Was interessiert Sie denn, frage ich zurück. Politische Sachbücher? Gute Romane und Erzählungen? Spannende Krimis? Bildbände, die man immer wieder betrachten möchte? Mit meiner Auswahl lade ich Sie zu Ihren eigenen Entdeckungen ein.

Irmtraud Gutschke

Wenn Sie mehr über mich erfahren wollen - meine Biografie, meine Bücher und Veranstaltungen - , schauen Sie auf meine Webseite www.irmtraud-gutschke.de

Asta Nielsen: Im Paradies

Sie war eine freie Frau

Kat Menschik lässt Asta Nielsen in besonderem Licht erstrahlen

Irmtraud Gutschke

Aus den Nebeln der Vergangenheit taucht sie vor uns auf: seilspringend, durchs Wasser tanzend mit entblößten Beinen, in verführerischer Pose und mit einem Dolch in der Hand. In über 100 Filmen hat Asta Nielsen die Hauptrollen gespielt. Nur wenigen war bewusst, dass sie auch eine Schriftstellerin war. Es wäre so auch kaum bekannt geworden ohne die Kunst einer anderen Künstlerin. „Blaue Himmels- und Wassertöne, sandiges Beige, Lippenstiftrot vor Wolkenweiß und Spiegelsilber – das sind die Farben der Ostsee und der Insel Hiddensee im Sommer“, schreibt Kat Menschik zu dem von ihr illustrierten Band mit Asta Nielsens Erzählungen. Die Idee entstand auf Hiddensee, wo sie gerne ist und letzten Sommer heiratete. Das „Asta-Nielsen-Haus“ dort hat sie gemalt – und sie machte die Bekanntschaft des Puppenspielers Karl Huck. Der hat zur Buchpremiere eine Hutschachtel mitgebracht und scheint sich mit jemandem darin zu unterhalten, bevor er sie öffnet. Das Gespräch geht weiter mit einem Kopf, den er sich über die Hand stülpt. „Asta Nielsen“ hat ein strenges Gesicht. Gerade weil sie eine umjubelter Diva war, achtete sie auf Distanz. Wie viele verschiedene Charaktere hat sie verkörpert, oft Frauen, deren Verhalten nicht den Konventionen entsprach. In „Hamlet“ spielte sie sogar einen Mann. Viele Lieben hatte sie. Sie war eine freie Frau.

1881 in Kopenhagen geboren in einer armen Familie, 1971 gestorben wieder in Dänemark. Aber ihr Ruhm war mit Deutschland verbunden, vor allem mit Berlin. „Wie habe ich diese Stadt geliebt“, heißt es in der Erzählung „Ein Tag im Paradies“. Das war, wie sie betont, „vor der Hitlerzeit“. 1932 drehte sie mit „Unmögliche Liebe“ ihren letzten Film in Deutschland, der zugleich ihr erster Tonfilm war. Angebote des NS-Regimes für weitere Produktionen lehnte sie ab.  Fortan widmete sie sich dem Schreiben. Ihre Memoiren „Die schweigende Muse“, 1961 bei Hinstorff Rostock und 1977 bei Hanser München erschienen, gelten als literarisches Meisterwerk. Daneben soll sie über 50 Novellen und Zeitungsartikel verfasst haben, von denen einige für diesen Band aufgefunden und erstmals übersetzt worden sind. Dazu Auszüge aus ihrem Hiddensee-Tagebuch, in dem mehrfach Joachim Ringelnatz vorkommt. Der geistert dann auch durch einige Bilder von Kat Menschik, manchmal mit Zitat. „Jeder spinnt auf seine Weise. Der eine laut, der andere leise.“ Das passt zu Asta Nielsens Lust an komischen Situationen. Die malt sie uns auf eine Weise aus, dass wir sicher sind: Das hat sie erlebt.

Da wollte sie sich in der Titelerzählung unbedingt blühende Kastanienzweige in die Vase stellen und landet in einer Berliner Vorort-Wüstenei – mit einem sturen Geigenbauer, einer nackten Frau, einem Jungen ohne Hosen und leerem Magen. Noch turbulenter geht es in „La Bohème“ zu, wo eine Künstlerparty in München (auch Ringelnatz ist dabei) in Alkohol- und Wasserströmen ertrinkt. Austernschalen türmen sich, eine riesenhafte Gans rutscht vom Teller, und der Tisch erhebt sich „wie eine Klappbrücke“. Wie genau Asta Nielsen beobachtet, wie ironisch scharfsinnig sie formuliert, wie furchtlos sie sich selbst mit dreingibt, spürt man dahinter auch eine Wehmut. Denn das alles war ja längst vorbei, als es zu Papier gebracht wurde. Die Filmkarriere zu Ende, Berlin verloren. Und die Liebe zu ihrer Tochter Jeska, die uns so eindringlich in „Weihnachten in Massa“ vor Augen tritt, würde später deren Selbstmord überdauern müssen.

„Sie ist alles! Sie ist die Vision des Trinkers und der Traum der Einsamen. Sie lacht wie ein Mädchen, das glücklich ist, und ihr Auge weiß von Dingen, die so zart und scheu sind, dass nie ein Wort über sie fällt“, zitiert Karl Huck im Nachwort den Dichter Guillaume Apollinaire. „Selbst wenn wir von Frühling, Sommerhitze oder Weihnachten, Liebe oder Tod lesen, es liegt immer im Leben alles ganz nah beieinander“, meint Kat Menschik. Der Band ist der 15. in der Reihe ihrer „Lieblingsbücher“. Allein schon der Silberschnitt (wo gibt es noch sowas?) zeugt von der Begeisterungskraft des Verlegers Wolfgang Hörner.

Wenn jemand etwas mit ganzem Herzen tut, reißt er andere mit. Da spannt sich eine Kette der Inspiration von einer großen Schauspielerin zu einem sprachmächtigen Puppenspieler, zu einer begnadeten Bildkünstlerin und einem enthusiastischen Verleger – bis hin sogar zu dem Parfumeur Mark Buxton aus Paris, der jetzt ein Parfum namens „Asta“ kreierte, zu dem Kat Menschik die Flakons und die Schmuckschachteln entwarf. Ein Duft wie ein „Strandspaziergang an einem kühlen Sommertag an der Ostsee“, sagt sie. Wie man dieses Buch „herrlich an Stränden liegend lesen“ könnte oder „ganz kuschelig … irgendwo an Ihren Lieblingswinterleseplätzen“, stellt sie sich vor.

Asta Nielsen: Im Paradies. Erzählungen. Illustriert von Kat Menschik. Nachwort Karl Huck. Galiani Berlin, 112 S., geb., 22 €.

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