Willkommen in meinem Literatursalon
Irmtraud_Gutschke

Lesen macht glücklich, weil es uns sagt, wer wir sind und wer wir sein wollen, weil wir über uns hinauswachsen, in fremder Haut erleben dürfen, was uns sonst verschlossen bliebe. Heutzutage scheinen wir ja in Informationen zu ertrinken und haben doch das Gefühl, dass uns Wichtiges fehlt. Was ich suche, sind Bücher, die in diesem Sinne nachdenklich machen, ja auch solche, von denen ein Leuchten ausgeht. Viele Jahrzehnte habe ich als Literaturredakteurin mit Hunderten, ja Tausenden von Texten zu tun gehabt, auch selber Bücher geschrieben. Die Neugier auf Neues will ich hier mit anderen teilen.

„literatursalon.online“: Stellen Sie sich vor, wir sind zusammen in einem schönen Saal, und Sie möchten von mir wissen, was sich zu lesen lohnt. Was interessiert Sie denn, frage ich zurück. Politische Sachbücher? Gute Romane und Erzählungen? Spannende Krimis? Bildbände, die man immer wieder betrachten möchte? Mit meiner Auswahl lade ich Sie zu Ihren eigenen Entdeckungen ein.

Irmtraud Gutschke

Wenn Sie mehr über mich erfahren wollen - meine Biografie, meine Bücher und Veranstaltungen - , schauen Sie auf meine Webseite www.irmtraud-gutschke.de

Das Museum der Pilze

Podcast: www.dasnd.de/buecherberge

Welch weite wundersame Welt!

„Das Museum der Pilze“ von Katie Scott und Ester Gaya

Von Irmtraud Gutschke

Dies scheint das richtige Buch zur herbstlichen Zeit zu sein. Wenn Regen die Pilze sprießen lässt, stehen überall Autos an den Waldesrändern. Erwartungsfroh steigen ihre Insassen aus und erschrecken beim Anblick von Mitmenschen. Haben die etwa schon die besten Exemplare weggeschnappt? Sowieso schätzen die meisten nur Röhrenpilze wie Steinpilze und Maronen. Täublinge? Reizker? Ritterlinge? Man müsste sie gut kennen, um essbare und giftige Arten zu unterscheiden.

Vorweg gesagt: „Das Museum der Pilze“ ist kein Handbuch für Pilzsammler, wobei diese umso mehr staunen werden, was ihnen bislang alles entging. Dass Pilze enger mit Tieren als mit Pflanzen verwandt sind, dürfte vielen entgangen sein. Dass wir gerade mal fünf Prozent der 2,2 bis 3,8 Millionen Pilzarten der Erde kennen, wusste auch ich noch nicht. Dass gemeiner Brotschimmel und Backhefe zu den Pilzen gehören, klar. Das eine kommt in die Mülltonne, das andere in den Kuchen. Dieses Buch lesend, eröffnet sich eine riesige, wundersame und in vielem unbekannte Welt. Wie ernähren sich Pilze? Wie pflanzen sie sich fort?

Wie kann zum Beispiel der giftige schwarze Schimmelpilz in Gebäuden wachsen? Und wie wird aus einem anderen Schimmelpilz, Penicillinum rubens, das Antibakteriologikum Penicillin? Dem Schimmelpilz Aspergillus terreus verdanken wir wichtige Statin-Medikamente, die das Cholesterin im Blut senken. „Wann wohl das nächste Pilzwundermittel gefunden wird“, fragt sich die Mykologin Ester Gaya, die bei ihrer hohen fachlichen Qualifikation, sie ist Forschungsleiterin bei den Royal Botanical Gardens in Kew, dieses Buch so fasslich, so anschaulich geschrieben hat, dass es auch Achtjährige verstehen können. Aber wie so oft bei guten Sachbüchern für Kinder, sind Erwachsene umso mehr fasziniert, weil sie feststellen, dass das weitergegebene Wissen auch ihnen selber fehlt.

Mit den blattbewohnenden Pilzen wie dem Sternrußtau, der durch Schlauchpilze verursacht wird, habe ich meinen Ärger, weil er meine Rosen so unansehnlich werden lässt. Aber noch nie habe ich daran gedacht, sie mit Mykorrhiza-Dünger zu unterstützen. Denn ohne symbiotische – also gegenseitig vorteilhafte –Beziehungen zu Pilzen, lese ich hier, könnten 80 Prozent aller Pflanzen nicht überleben. „Mykorrhizapilze besiedeln die Wurzeln von Pflanzen und versorgen sie mit Wasser und Nährstoffen aus dem Boden, welche die Pflanzen selbst nicht aufnehmen können. Dafür erhalten die Pilze pflanzliche Kohlenhydrate für ihr Wachstum.“ Manche Bäume beherbergen in ihren Wurzeln Dutzende Pilze. „In einem einzigen Gramm Erde können Hunderte und Aberhunderte Pilzfäden stecken.“ Riesige unterirdische Netzwerke – wie achtlos trampeln wir auf ihnen herum. Ob sie es vielleicht sogar spüren können? Wir meinen, unseren Planeten in Besitz genommen zu haben, dabei ist er uns in weiten Bereichen noch fremd. Allein die Pilze bilden ein ganz eigenes Reich, das wir bestenfalls punktuell wahrnehmen, wenn wir uns über einen Birkenpilz freuen, ohne zu wissen, welche Verbindung er zu der Birke hat.

Welche Vielfalt an Formen und Arten! Die britische Illustratorin Katie Scott, die sich auch in früheren Büchern wie „Das Museum der Tiere“ und „Das Museum der Pflanzen“ von den kunstvollen Naturgemälden Ernst Haeckels inspirieren ließ, hat dieses Buch mit kräftigen Farben zu einem Kunstwerk gemacht. Mit dem Staunen beginnt es vielleicht, in diesem „Museum der Pilze“ auch ein wenig Demut zu lernen, die Menschen leider abhandenkam. Wir sind nicht allein auf der Welt, auch wenn wir uns allzu oft so benehmen. Ein wenig mehr Achtsamkeit wäre angemessen.

Katie Scott und Esther Gaia: Das Museum der Pilze: Eintritt frei. Prestel Verlag, 72 Seiten, geb., 26 €. 

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