Willkommen in meinem Literatursalon
Irmtraud_Gutschke

Lesen macht glücklich, weil es uns sagt, wer wir sind und wer wir sein wollen, weil wir über uns hinauswachsen, in fremder Haut erleben dürfen, was uns sonst verschlossen bliebe. Heutzutage scheinen wir ja in Informationen zu ertrinken und haben doch das Gefühl, dass uns Wichtiges fehlt. Was ich suche, sind Bücher, die in diesem Sinne nachdenklich machen, ja auch solche, von denen ein Leuchten ausgeht. Viele Jahrzehnte habe ich als Literaturredakteurin mit Hunderten, ja Tausenden von Texten zu tun gehabt, auch selber Bücher geschrieben. Die Neugier auf Neues will ich hier mit anderen teilen.

„literatursalon.online“: Stellen Sie sich vor, wir sind zusammen in einem schönen Saal, und Sie möchten von mir wissen, was sich zu lesen lohnt. Was interessiert Sie denn, frage ich zurück. Politische Sachbücher? Gute Romane und Erzählungen? Spannende Krimis? Bildbände, die man immer wieder betrachten möchte? Mit meiner Auswahl lade ich Sie zu Ihren eigenen Entdeckungen ein.

Irmtraud Gutschke

Wenn Sie mehr über mich erfahren wollen - meine Biografie, meine Bücher und Veranstaltungen - , schauen Sie auf meine Webseite www.irmtraud-gutschke.de

Wild wie eine Katze

Das Unerwartete sei gepriesen

Von Irmtraud Gutschke

So haben schon Sam Ushers Bilderbücher „Regen“, „Sonne“, „Sturm“, „Schnee“ begonnen, die vor kurzem – ebenfalls im Annette Betz Verlag – zusammen in einem Schuber unter dem Titel „Wetter“ erschienen sind. Ein kleiner Junge wacht morgens auf, voller Vorfreude auf einen besonderen Tag. Diesmal kommt wohl eine Katze zu Besuch, und er schaut sich schonmal allerlei Katzenbücher an. Da können wir erwarten, dass seine Phantasien noch eine Rolle spielen werden.

Wieder sind da der besonnene Großvater und das quirlige Kind. Wie treffend der Londoner Künstler deren unterschiedliche Wahrnehmungen ins Bild gebracht hat. Das war schon in seinen früheren Büchern ein großer Reiz, weil man sie beim Vorlesen Kindern erklären kann. Man dürft denken, dass der Künstler selbst schon ein Enkelkind hat. Aber nein, er ist Jahrgang 1984. Da wird er sich wohl gut daran erinnern, wie er als Kind war und wie der liebe Opa reagierte. Wie genau er den Tatendrang des Jungen ins Bild bringt, wie er sich ergötzt an dieser ungebremsten Energie, dieser Erwartungsspannung, die Erwachsenen vielleicht irgendwann verloren geht. Die Gelassenheit des Großvaters ist eine Gabe. Doch wenn wir wählen müssten …

Jedenfalls kommt alles anders als gedacht. Die Katze lässt nicht mit sich spielen, sitzt nicht brav mit am Tisch und schaut nicht ruhig mit dem Jungen zusammen aus dem Fenster. „Keine Sorge, Katzen haben ihren eigenen Kopf“, sagt der Großvater. Aber der Junge wäre nicht wer er ist, würde er nicht versuchen wahrzumachen, was er sich vorgestellt hat.

Da werden sich erwachsene Betrachter fragen, ob es ihnen nicht auch allzu oft so geht, ob sie nicht enttäuscht sind, wenn die Dinge anders laufen als gedacht. Sam Usher ist ein Meister darin, das detailreich, mit feinem Strich, szenisch auszumalen: die Bemühungen des Jungen, der ja nie aufgibt, die Eigenwilligkeit der Katze und wie gütig, verständnisvoll der Opa auf all das reagiert. Kinder ab vier werden viel Freude daran haben, das dem Jungen unverständliche Verhalten der Katze zu beobachten, die nichts versteht und macht, was sie will. Am Schluss läuft sie einfach weg, und es geschieht gänzlich Unerwartetes, weil dem Jungen die Bilder aus seinen Büchern lebendig werden. Diesen „Dreh“ muss man Kindern wohl erst erklären. Erwachsene aber werden den Wink verstehen: Lass dich darauf ein, deine geordnete Vorstellungswelt zu verlassen, mach dich locker. Wenn du dich in den Dschungel wagst, wirst du Wunderbares erleben.

Sam Usher: Wild wie eine Katze. Aus dem Englischen von Christiane Lawall. Annette Betz Verlag, 40 S., geb., 14,95 €.

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