Willkommen in meinem Literatursalon
Irmtraud_Gutschke

Lesen macht glücklich, weil es uns sagt, wer wir sind und wer wir sein wollen, weil wir über uns hinauswachsen, in fremder Haut erleben dürfen, was uns sonst verschlossen bliebe. Heutzutage scheinen wir ja in Informationen zu ertrinken und haben doch das Gefühl, dass uns Wichtiges fehlt. Was ich suche, sind Bücher, die in diesem Sinne nachdenklich machen, ja auch solche, von denen ein Leuchten ausgeht. Viele Jahrzehnte habe ich als Literaturredakteurin mit Hunderten, ja Tausenden von Texten zu tun gehabt, auch selber Bücher geschrieben. Die Neugier auf Neues will ich hier mit anderen teilen.

„literatursalon.online“: Stellen Sie sich vor, wir sind zusammen in einem schönen Saal, und Sie möchten von mir wissen, was sich zu lesen lohnt. Was interessiert Sie denn, frage ich zurück. Politische Sachbücher? Gute Romane und Erzählungen? Spannende Krimis? Bildbände, die man immer wieder betrachten möchte? Mit meiner Auswahl lade ich Sie zu Ihren eigenen Entdeckungen ein.

Irmtraud Gutschke

Wenn Sie mehr über mich erfahren wollen - meine Biografie, meine Bücher und Veranstaltungen - , schauen Sie auf meine Webseite www.irmtraud-gutschke.de

Benito Wogatzki: Unter der Sonne von Saint-Tropez

Aufregung in Ardinoschou

„Unter der Sonne von Saint-Tropez“, das letzte Werk von Benito Wogatzki

Von Irmtraud Gutschke

Er war nicht der einzige, der in der DDR geblieben war und dann dem nicht wirklich geeinten Deutschland den Rücken kehrte. Benito Wogatzki, geboren 1932, war ein gefragter Drehbuchautor für Film und Fernsehen gewesen und wandte sich bald auch der Prosa zu, mehrfach preisgekrönt, aktiv im Vorstand des Schriftstellerverbandes und im Präsidium des Verbandes der Film- und Fernsehschaffenden, Vizepräsident des Friedensrates der DDR. Warum geht so einer nach Frankreich? Im Titel seines letzten Werkes mag man eine Antwort suchen: „Unter der Sonne von Saint-Tropez“ findet sich fern von deutschen Aufregungen und Querelen eine bodenständige Lebensart. Guter Ziegenkäse mit Wein, ein Pastis – und kein Geschrei über Stasi und keine deutsche Großmannssucht. 

„Wer die Anhöhe von Saint-Lourant erreicht hat und nun zurückblickt ins Tal, der sieht plötzlich, am Hang gegenüber, ein Häuflein Häuser liegen – von weitem wie eine Schafherde, die in der Windstille eingeschlafen ist.“ So beginnt die Novelle. Eingeschlafen ist auch Jérôme Laskar, der Dorfpolizist. Während eines Festakts das schwere Banner von Ardinoschou zu halten, war ihm aufgetragen. Dass er dabei zusammensackte, war eine Katastrophe. Der Bürgermeister zweifelt nun, ob Laskar seinen Aufgaben  noch gewachsen ist. Wenn er nicht selbst um Entlassung bittet, wird sie beschlossen.

Der arme Hund. Kann er von seinem Nebenberuf, Zementlaster zu fahren, leben? Seine Frau Colette redet nicht mehr mit ihm, seit der Sohn verunglückt ist. Das wird sich ändern. Nicht nur Colette, auch zwei weitere schöne Damen werden ihm in die Augen schauen, und es wird sogar heißen: „Ein guter Polizist.“ Denn es hat einen Kriminalfall gegeben. Wenn an mehreren Tagen hintereinander Boule-Kugeln gestohlen werden, ist das für einen ruhigen Ort wie Ardinouschou Aufregung genug. Lascar läuft zu großer Form auf, legt sich sogar nächstens auf die Lauer und stellt einen Verdächtigen: den Dachdecker Noël.

„Bist du noch bei Verstand, camarade?, fragt der vorwurfsvoll. „Jérôme, ich bin hier geboren und du auch. Warum sagst du so etwas?“ – Da erinnere ich mich plötzlich an die Verfolgungswut, die es nach 1990 unter DDR-Autoren gab. Am schlimmsten war es im West-PEN, als die Vereinigung mit dem Ost-PEN anstand; der Schriftstellerverband hatte ich sofort selbst aufgelöst. Diese Begierde, Kollegen mit Stasi-Vorwürfen in die Ecke zu treiben, woher kam die bloß? Aus eigenem Frust? Um sich Konkurrenzvorteile zu verschaffen? Oder waren es Ablenkungsmanöver nach dem Motto „Haltet den Dieb“?

Wenn Lascar auch eingeschlafen ist („ein kleiner Schluck“ im Büro des Bürgermeisters mochte dazu beigetragen haben), Lesern wird das hier bestimmt nicht passieren, denn der Autor glänzt wie schon immer mit skurrilen Verwicklungen und einer Schelmerei, die nicht belehren, sondern vor allem unterhalten will. Es mag eine Provinzposse sein, in die er sich vielleicht auch geflüchtet hat. An eine populäre Fernsehserie wie „Mord mit Aussicht“ hat er damals nicht gedacht. Aber es hätte sowas werden können. Eine Sammlung von drei humoristischen Kriminalgeschichten hatte er im Sinn. Nur diese eine ist fertig geworden, nachdem er zwei Jahre daran gearbeitet hatte. Nun hat sie der Leipziger Verlag Faber & Faber zu uns gebracht. „Sie ist zu seinem letzten Wort geworden“, heißt es im „Nachsatz zum Autor“, der auch eine Erklärung enthält, was Benito Wogatzki in der Provence außer der Sonne so gefiel. „Das Dorf selbst und die es umgebenden Orte zeugen von einer Dauer, die keine einschneidenden Wechsel und Wenden kannte. Die kleine dörfliche Gemeinschaft begegnete ihm mit Respekt und mehr und mehr mit herzlicher Zuneigung.“ Am 25. Juli 2016 ist Benito Wogatzki dort gestorben.

Benito Wogatzki: Unter der Sonne von Saint-Tropez. Faber & Faber, 106 S., geb.,
20 €.

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