Willkommen in meinem Literatursalon
Irmtraud_Gutschke

Lesen macht glücklich, weil es uns sagt, wer wir sind und wer wir sein wollen, weil wir über uns hinauswachsen, in fremder Haut erleben dürfen, was uns sonst verschlossen bliebe. Heutzutage scheinen wir ja in Informationen zu ertrinken und haben doch das Gefühl, dass uns Wichtiges fehlt. Was ich suche, sind Bücher, die in diesem Sinne nachdenklich machen, ja auch solche, von denen ein Leuchten ausgeht. Viele Jahrzehnte habe ich als Literaturredakteurin mit Hunderten, ja Tausenden von Texten zu tun gehabt, auch selber Bücher geschrieben. Die Neugier auf Neues will ich hier mit anderen teilen.

„literatursalon.online“: Stellen Sie sich vor, wir sind zusammen in einem schönen Saal, und Sie möchten von mir wissen, was sich zu lesen lohnt. Was interessiert Sie denn, frage ich zurück. Politische Sachbücher? Gute Romane und Erzählungen? Spannende Krimis? Bildbände, die man immer wieder betrachten möchte? Mit meiner Auswahl lade ich Sie zu Ihren eigenen Entdeckungen ein.

Irmtraud Gutschke

Wenn Sie mehr über mich erfahren wollen - meine Biografie, meine Bücher und Veranstaltungen - , schauen Sie auf meine Webseite www.irmtraud-gutschke.de

Hans-Dieter Schütt: Stephan Hermlin

Geheimnisse bleiben

„Entlang eines Dichters“: Hans-Dieter Schütt gelang eine packende Erzählung über Stephan Hermlin

Irmtraud Gutschke

Dieses Buch zu lesen, macht glücklich, demütig – und zögerlich. Was für ein Genuss ist allein schon die Sprache, wie sie allein nur Hans-Dieter Schütt gehört. Seinen Stil zu kopieren, sollte man nicht mal versuchen. Und: Welche Anmaßung, in ein paar Stunden, Tagen über ein Werk zu schreiben, für das der Autor mindestens hundertmal länger brauchte. Mehr als das: Über Jahrzehnte, kann man sagen, hat er sich dem Schriftsteller Stephan Hermlin genähert und ist mit im Gespräch gewesen. Fasziniert von seiner Persönlichkeit, die anderen unnahbar erschien, arrogant, weshalb sie ihn umso bereitwilliger von seinem Sockel herunterzuholen trachteten, was natürlich nicht gelang. Charisma und Talent waren und sind unterschiedlich verteilt. Stephan Hermlin veränderte einen Raum, wenn er ihn betrat. Das wurde ihm geneidet. Bei Versammlungen des Schriftstellerverbandes, so Günter Kunert, habe man beobachten können, wie „die Minderwertigkeitskomplexe ringsum sichtlich aufblühten“. Denn was in einer aufs Egalitäre getrimmten Gesellschaft besonders schwer zu verkraften war, das war eine Überlegenheit gleichsam via Geburt, die für Hermlin mit der Herkunft aus einer kultivierten jüdischen Unternehmer- und Kunstsammlerfamilie verbunden war. 

„Er hatte etwas Aristokratisches an sich; und das hat er heute noch, wenn er da steht“, so wird im Buch Stefan Heym zitiert, der das zugestehen konnte, weil er ebenfalls ein Selbstbewusster war. Viele Autoren-Zitate sind zusammengeführt. Man staunt wirklich, was hier an Hintergründen verarbeitet ist. Unter dem Fokus des Schriftstellers Stephan Hermlin ist gleichsam eine ganze DDR-Literaturgeschichte entstanden, mit vielen Einzelheiten, die viele nicht kennen oder sich nicht mehr erinnern. Insofern ist dieses Buch durchaus eine Biographie und doch mehr als das. Die Kontroverse um „Abendlicht“ ist von Anfang an im Hintergrund. „Ich gestehe meine Neugier auf Zerrissenheiten“, bekennt Schütt. Hermlin aber hatte wenig Lust, diese Zerrissenheiten auszustellen. Einen weiten Horizont hat er „schreibend in den Blick genommen“, aber „um sein Innenleben bleibt ein Zaun gezogen“. Dass er uns mit einem Stück virtuoser Prosa eine Lüge aufgetischt hätte? Karl Corinos Machwerk „Außen Marmor, innen Gips“ verriet schon im Titel, worum es ging: um die Diffamierung eines weiteren Autors, der nicht nur DDR-Lesern etwas bedeutete.

„Schreiben heißt, aus dem Sichtbaren in etwas Unsichtbares gelangen zu wollen. In einen Traum von sich selbst? Schreiben heißt, sich von dem zu befreien, was die anderen sagen: nämlich man sei der und der.“ Dass Hermlin sich etwas literarisch angeeignet hätte, was er nicht erlebte – der Vorwurf traf postum umgekehrt Erwin Strittmatter, weil der seine eigene Kriegsvergangenheit nicht so in seinen  Romanen ausstellte, wie erwartet wurde. Wobei wir nicht einmal sicher wissen, was genau auszustellen war. Wie eine innere Wahrheit per se mit Misstrauen belegt war, sagt viel über die Verhältnisse, die solche „Untersuchungsrichter“ begünstigten.

Dass Rudolf Leder sich nach dem Krieg das Pseudonym Stephan Hermlin gab, lässt Hans-Dieter Schütt an das Hermelin denken, „edler ist ein Pelz nicht möglich“. Irgendwann tritt uns der junge Mann auch im weißen Anzug vor Augen. Aber nichtsdestotrotz: Seine Prägung war der kommunistische Widerstand, wohl immer auch verbunden mit einer Urangst, die aus seiner jüdischen Familie kam. „Ich war nicht besser und nicht schlechter als die Bewegung, der ich angehörte, ich teilte ihre Reife und Unreife, ihre Größe und ihr Elend. Was mich noch einsam machte, würde Spätere zusammenschließen.“ Diese Worte Hermlins stellt Schütt dem Buch voran. Treue zu einer Sache – ohne Zweifel engte sie ihn auch ein. In welch quälenden Konflikten er sich mitunter befand, erlebt man beim  Lesen. Ein Schicksal steht für viele. Als auf einer PEN-Tagung 1961 in Hamburg (das steht nicht im Buch) immer wieder die DDR in Frage gestellt wurde, soll Peter Hacks mit Hans Magnus Enzensberger polemisiert haben: „Der Unterschied zwischen der DDR und der Bundesrepublik ist der zwischen einem sauren und einem faulen Apfel“. Wobei er die BRD als den faulen sah. (Die Bildhauerin Christiane Rößler hat das in einer Skulptur thematisiert.) Interessanterweise hat Hermann Kant die DDR später mit einem Apfel verglichen, der durchaus faule Stellen hatte. Aber die könne man rauspuhlen. Dass dies auch eine Glaubensfrage war, liegt auf der Hand.

Je näher man der Macht und je klüger man war, die Probleme zu durchschauen, umso quälender war dieser Zwiespalt. Je später er einem bewusst wurde, umso stärker mochte man sich schuldig fühlen. Hätte man nicht eher, wäre man doch mutiger gewesen … Wie hat sich Christa Wolf daran aufgerieben! Ehrenhaft war es, eine andere, eine bessere DDR zu wollen und sich Vorwürfe zu machen, nicht genug dafür getan zu haben. Aber zunächst funktionierte das nicht, weil die sowjetische Führung jeder Veränderung einen Riegel vorschob, und dann war es die BRD, die an einer sozialistisch reformierten DDR kein Interesse hatte. Wie übrigens auch die Mehrheit der DDR-Bürger nicht, die so leben wollten „wie im Westen“. Stephan Hermlin ist zuzutrauen, dass er das früher als andere durchschaute.

„Man selber aber hielt die Fahne hoch und verschloss die Augen davor, dass sie längst im Dreck lag“, bekennt Hans-Dieter Schütt. Was wäre der Ausweg gewesen? Weggehen? Sich in einer inneren Emigration verkriechen wie so viele? Weniger radikal zu sein, ist immer anzuraten. „Ungezählte Leute tragen für ihr Leben zumindest das Gespür in sich, dass mit der DDR auf deutschem Boden etwas Alternatives beabsichtigt war. Eine Gesellschaft, die den Schwachen eine Chance zu geben gewillt war…“ 1992 im Gespräch mit Hans-Dieter Schütt so für den untergegangenen Staat einzutreten, richtete sich gegen die herrschende Meinung ebenso wie Hermlins Bekenntnis auf dem Schriftstellerkongress 1978, ein „spätbürgerlicher Dichter“ zu sein.

„Bürgerlich, was ist das?“, überlegt Hans-Dieter Schütt. „Bürgerlich ist der Wille zum Herausragenden und, daraus hervorspringend, der Sinn für individuellen Rang. Hermlin plädiert für jenes Einzigartige, dessen sich der Einzelne bewusst werden möge. Mag sein, dass die bürgerliche Welt in vielem stirbt ­– doch in vielem lebt sie.“ Einer von vielen Sätzen, die ich mir herausgeschrieben habe. „Entlang eines Dichters“, heißt das Buch im Untertitel. „Schauend vorübergehen, Berührung durch Beobachtung. Sich in einer Nähe fühlen, ohne den Abstand zu leugnen. Man bleibt im Schatten von etwas Größerem. Wie unter einem Schutz. Unheimliches birgt der Weg auch.“

Diesen Weg nur einmal zu gehen, reicht wohl nicht. Und manches Geheimnis hat Stephan Hermlin wohl mit ins Grab genommen.

Hans-Dieter Schütt: Stephan Hermlin. Entlang eines Dichters. Quintus Verlag,
296 S., geb., 25 €. 

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